Die Sinnlosigkeit des Sterbens

Vor einigen Tagen bekam ich eine Diskussion mit, in der es um das Wiederbeleben von toten Charakteren in Fanfictions ging. Ich hatte selbst etwas dazu geschrieben, wann dies meiner Meinung nach Sinn machte und wann man es besser lassen sollte, doch dann nahm die Diskussion einen Verlauf, der mich nachdenklich stimmte, zumal ich mich gerade mit großen Schritten zum x-ten Mal dem Ende von The High Lord näherte.

Ich habe mich an dieser Diskussion nicht weiter beteiligt, weil ich mich dafür als nicht objektiv genug erachte und Internetforen zuweilen einem Haifischbecken gleichen. Dennoch möchte ich Statement dazu abgeben, weil mich dieses Thema selbst betrifft und beschäftigt.

Eine andere Autorin schrieb sinngemäß, dass der Tod eines Charakters durch seine Wiederbelebung nichtig würde. Es war nicht genau ihre Aussage, aber es war das, was sich davon in mir festsetzte und mich zum Nachdenken brachte.

Ich kann dieser Aussage nur bedingt zustimmen. Wenn ein Autor einen Charakter sterben lässt, dann tut er dies für gewöhnlich aus einem guten Grund. Dieser Grund bringt die Story in irgendeiner Form weiter oder lässt die zurückgelassenen Charaktere über sich hinauswachsen. So muss Snape sterben, weil er sich für Harry opfert und weil nach allem, was er durchlitten hat, der Tod eine Erlösung ist. Im Tod findet er zudem Vergebung durch Harry. Dieser Charakter ist so kaputt, dass es für ihn nichts mehr danach gibt, da die Menschen, die ihm etwas bedeutet haben, Lily und Dumbledore, ebenfalls tot sind. Khal Drogo stirbt (wenn auch ein wenig sinnlos), damit Daenerys sich aus seinem Schatten erhebt und über sich hinauswächst, denn nur so wird sie eines Tages über Westeros herrschen können. Zumal die Sieben Königreiche von einer Horde Dothraki beherrschen zu lassen, keine allzu gute Idee wäre. Trotzdem ging mir dieser Tod sehr nahe, weil die beiden so unglaublich gut zueinander gepasst haben.

Würde man diese beiden wiederbeleben, würde damit nicht nur ihr Tod nichtig, sondern auch, was er in der weiteren Storyline bewirken soll. Der Tod dieser beiden Charaktere geschah auf Grund eines höheren Ziels.

Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, auf die ich hier jedoch nicht eingehen will. Worauf ich hinaus will – und das ist einzig meine bescheidene und verquere Meinung – ist Folgendes:

Der Tod eines Charakters kann durch seine Wiederbelebung nur nichtig gemacht werden, wenn er einen höheren Sinn hatte.

Aber es gibt auch Fälle, wo Autoren ihre Charaktere sterben lassen, weil sie von ihnen überfordert sind oder keine Lust mehr auf sie haben. Oder weil sie kein Happy End schreiben wollen, obwohl sie das auf einer Million anderen Wegen auch hätten erreichen können.

Und damit wären wir bei Akkarin. An dieser Stelle kommt mir meine Objektivität wahrscheinlich abhanden, weil der Tod dieses Charakters mich jedes Mal in einen tagelangen Zustand von Sinnlosigkeit und Weltschmerz wirft. Inzwischen denke ich seit fast 5 Jahren über dieses Thema nach und alle Argumente, die mir in den Sinn kommen, untermauern meine Meinung weiter.

Ich finde seinen Tod sinnlos. Überaus sinnlos. Und darüber hinaus eines solch großartigen Charakters unwürdig. Akkarins Tod bringt weder die Story weiter, noch ist er den Charakteren von irgendeinem Nutzen. Akkarins Tod killt die Story.

Schauen wir uns das doch einmal im Detail an.

  • Sein Tod hat nichts, aber auch nichts Gutes für Soneas weitere Entwicklung. Sie ist eine Ausgestoßene unter den anderen Magiern, die verachtet und gefürchtet wird, weil sie schwarze Magie praktiziert. Ohne Akkarin ist sie dem so gut wie schutzlos ausgeliefert, denn Rothen wird nicht viel für sie tun können, so wie er es schon nicht konnte, als er noch ihr Mentor war. Außerdem trägt sie Akkarins Bastard aus – im konservativen Kyralia und der Gilde ein Skandal (über die hanebüchene Erklärung, wie es dazu gekommen ist, will ich hier nicht diskutieren). Für Sonea ist diese Situation der absolute Supergau. Und da braucht mir keiner kommen mit „ein Teil von ihm lebt ihn ihr weiter“. Wenn dieses Kind mit Akkarin Ähnlichkeit hat, wird sein Anblick sie immer schmerzen und an ihn erinnern. Das ist überaus grausam.

  • Obwohl die Gilde Akkarin ausgestoßen hatte, hat er gerade begonnen, wieder lebendig zu sein. Ob er seine kühle Distanziertheit jemals ganz ablegt, sei dahingestellt. Doch durch Sonea wurde in ihm ein Prozess in Gang gesetzt, der Potential für eine weitere Charakterentwicklung bietet. Durch Sonea hat er begonnen, über seine Erlebnisse in Sachaka hinwegzukommen und hat gelernt, wieder zu lieben. Aber er musste sterben, bevor er überhaupt eine ernsthafte Chance hatte, sein Leben zu verbessern.

  • Es hätte für ihn keinen Platz mehr in der Gilde gegeben.“ Diese Aussage habe ich in Diskussionen über die Trilogie mehrfach gelesen. Ich bezweifle das. Es ist richtig, die Gilde hatte ihn und Sonea verstoßen, doch während der Invasion der Ichani kommen die Magier wieder zu Verstand und erkennen, dass er die Wahrheit gesprochen hat. Sogar der König dürfte seine Meinung geändert haben, nachdem Akkarin und Sonea ihn und seine Berater vor diesem Ichani gerettet haben. Die beiden wieder fortzuschicken wäre strategisch äußerst unklug. Wie Sonea müsste auch Akkarin sich strengen Auflagen beugen – und ganz sicher würde die Gilde ihm keine Position von Macht geben.

  • Akkarins Tod ist überaus unwürdig eines solch großartigen Charakters, der immer vorausschauend und berechnend ist und jede Situation unter Kontrolle hat. Und dann soll er durch so eine Unachtsamkeit wie ein Messer in der Brust sterben? Wenn Helden sterben, erwarte ich irgendwie eine dramatische Sterbeszene und nicht, dass er in dem einen Moment noch lebt und man überzeugt ist, dass er es schafft, und im anderen bereits tot ist. Ich fühle mich nicht nur das Ende der Geschichte betrogen, sondern auch um einen anständigen Charaktertod. Ich bin übrigens ziemlich sicher, dass er Sonea nur deswegen seine gesamte Magie gegeben hat, weil er wusste, die Verletzung würde ihn umbringen, wodurch er sie mit in den Tod gerissen hätte.

Akkarins Tod ist nicht der einzige sinnlose Charaktertod in der großen, weiten Welt der Fiktion. Aber er ist der, der mich am meisten beschäftigt. In den Augen anderer mag seine Wiederbelebung seinen Tod vielleicht nichtig machen, doch für mich stirbt die Story mit ihm, während sein Überleben unglaublich viel Potential bietet, die Geschichte spannend fortzuführen, sowohl in Bezug auf die große Rahmenhandlung als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere untereinander. Denn Akkarin ist durchaus eine Person, welche die anderen Figuren polarisiert und weil während The High Lord einige Prozesse in Gang kommen, für deren Entwicklung ich seine Präsenz in der Geschichte für wichtig erachte. Wie beispielsweise die Tatsache, dass die Sachakaner nun wissen, dass die Gilde höhere Magie verbietet und mehr als einmal erwähnt, dass sie die Gilde für den letzten Krieg hassen und der König von Sachaka der Gilde daher nicht mit den Ichani helfen würde.

Aber wie belebt man einen toten Charakter anständig wieder? Über diese Frage habe ich mir lange und ausgiebig den Kopf zerbrochen, seit ich vor fast 5 Jahren anfing, Fanfiction zu schreiben. Die Szene, in der Sonea Akkarin rettet, ist eine derjenigen, die ich wohl am häufigsten überarbeitet habe. Ich bin der Meinung, dass eine Wiederbelebung realistisch im Rahmen des Originals sein muss und sich möglichst nur der Elemente bedienen sollte, welche die Welt bietet. In meinem Fall waren das schwarze Magie und Heilkunst. Eine kleine spirituelle Komponente ist noch hinzugekommen, die ich für legitim halte, da der Präsenz eines Magiers in den Büchern eine besondere Bedeutung beigemessen wird.

Das zu schreiben, war schwer. Sehr schwer. Ganz besonders, weil ich emotional involviert bin. Ich weiß nicht, ob es mir jenseits meiner verqueren Denke gelungen ist. Ich kann nur sagen, dass ich Fanfictions mit anderen Wiederbelebungsszenarien gelesen habe, in denen ich verzweifelt die Logik gesucht habe und mich fragte, was dieses oder jenes Element bitteschön in dem jeweiligen Universum verloren hatte. Daher weiß ich zumindest, wie ich es nicht machen würde.

Ist Wiederbelebung sueig? Ich würde sagen, das kommt darauf an, wie einfach man es sich macht. Ist der Charakter schon länger tot oder ist er gerade erst gestorben? Erweckt man ihn mit einem Fingerschnipsen zum Leben oder muss man viel Arbeit investieren? Steht er danach sofort quicklebendig auf oder hinterlässt diese Erfahrung Spuren?

Wenn man es richtig machen will, gibt es viel zu beachten, damit es realistisch wird und die Leser nicht nur den Kopf schütteln. Alternativ kann man den Tod des Charakters auch einfach umgehen und die Sterbeszene komplett umschreiben oder es gar nicht erst dazu kommen lassen. Ich hätte Sonea und Akkarin zur Arena gehenlassen können, diese zu zerstören wäre wirklich nicht weiter schlimm gewesen, da sie weder von architektonischem noch historischem Wert ist. Ich hätte dafür sorgen können, dass Akkarin am Ende noch Magie übrig hat, damit Sonea ihn heilen kann. Oder sie beide hätten sich erschöpft und Dorrien würde nach Ende des Kampfes zu ihnen eilen und die Heilung für sie übernehmen. Oder ich hätte den Kampf gegen die letzten drei Ichani komplett umgeschrieben.

Aber ich habe mich für die Wiederbelebung entschieden. Weil ich jedes Mal, wenn ich im Buch an diese Stelle komme, sich eine Flut von Emotionen in mir aufgestaut hat, die sich beim Lesen dieser beiden Sätze entlädt:

He had given her too much power.

He had given her everything.

 

Ohne diese Sätze und ohne das daraus resultierende Drama würde sich die Rettung meines Lieblingscharakters nur halb so gut anfühlen. Ich brauche diese Sätze und das finstere Tal, das ich jedes Mal durchwandere, wenn ich Soneas Versprechen lese. Denn nur dann kann ich über sein Überleben in meinem alternativen Ende diese unglaubliche Erleichterung verspüren.

Man kann über den Sinn und Unsinn in der Wiederbelebung eines fiktiven Charakters streiten. Aber eines ist sicher: Charaktertode sind oft der Motivator, Fanfiction zu schreiben. Und ich finde, es ist das gute Recht eines jeden Fans, seinen Liebling wiederzubeleben und sich noch lange an ihm zu erfreuen. Und mir ist es ehrlich gesagt schnurzpiepegal, ob die Art und Weise, wie ich Akkarin rette, auf andere sueig wirkt oder irgendetwas nichtig macht, weil jede Fortsetzung ohne ihn für mich nichtig ist.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Sonntag!

PS: Trudi Canavan gibt auf ihrer Homepage übrigens selbst zu, dass sie Akkarin nur getötet hat, weil sie kein Happy End schreiben wollte (und macht dazu den etwas sadistisch anmutenden Kommentar: „Akkarin was a casualty of war. War is a cruel and random killer. It doesn’t kill based on who deserves it more or less. And, hey, you’re never going to forget that ending!“ – die volle Wahrheit könnt Ihr auch hier nachlesen). Dazu, wie sie das auf andere Weise hätte verhindern können, habe ich mich bereits in meiner Kritik zu The High Lord ausgiebig geäußert.