Akkarin, der introvertierte Hohe Lord

Warum es leichter ist, sich einem Fremden anzuvertrauen

Im heutigen Artikel geht es um ein Thema, über das ich vor wenigen Wochen mit einer meiner Testleserinnen diskutiert habe, während sie sich ’Schwärzer als die Nacht’ vorgeknöpft hat. Und weil ich dieses Thema nicht nur für diese Geschichte wichtig finde, sondern weil es sich lohnt darüber nachzudenken, will man Akkarin als Figur verstehen, habe ich diesem Thema einen Artikel gewidmet.

Es geht um die Frage, warum Akkarin sich in ’The High Lord’ ausgerechnet seiner Novizin anvertraut, wenn doch Lorlen sein bester Freund ist.

Motivation

Für Teil zwei und drei meiner ’Schwarze-Sonnen’ Trilogie habe ich mich verschiedene Fragen rund um Akkarins und Lorlens Verhalten auseinandergesetzt. Zahlreiche Passagen, die beim Lesen der Bücher auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheinen, brauchen eine plausible Erklärung, will man sie canontreu aus Akkarins Perspektive schreiben und diese Lücken in den Büchern schließen.

Einige dieser Themen habe ich auch unabhängig von meiner Akkarin-Trilogie mit anderen Fans diskutiert, darunter Testleser, Autorenfreunde und Leser, mit denen ich inzwischen auch privat in Kontakt stehe. Und ich finde es immer wieder faszinierend, wie andere diese Stellen interpretieren, auch wenn sich im Laufe einer Diskussion häufig herausstellt, dass unsere Theorien sich ähneln.

Sobald es jedoch um Akkarin geht, sobald dieser etwas tut, was ihn auf den ersten Blick in ein schlechtes Licht rückt, werden auch seine Gegner wach und verurteilen ihn für sein Verhalten. Besonders in Forumsdiskussionen, aber auch in Rezensionen, stößt seine Entscheidung, sich seiner Novizin anzuvertrauen, häufig auf ein Unverständnis, das mich gelinde gesagt schockiert.

In ’The High Lord’ ist dies ein zentraler Punkt, der die Handlung maßgeblich beeinflusst, und daher eine  Erklärung wert.

Vielleicht ist es jedoch auch eine Frage von Veranlagung und persönlicher Erfahrung, ob man Akkarins Entscheidungen und Motive nachvollziehen kann. Hier sehe ich vor allem zwei Aspekte, die sich bei Akkarin gegenseitig bedingen und die viele seiner Handlungen in den Büchern beeinflussen:

Introvertiertheit und Kontrollzwang.

Akkarin als introvertierte Figur mit Kontrollzwang

Akkarin ist ein sehr introvertierter Charakter. Einiges mag Veranlagung sein, in erster Linie ist seine Verschlossenheit jedoch durch Sachaka bedingt. Das tägliche seiner Gedanken und dass über jede erdenklich Weise über ihn verfügt verfügt wurde, prägt ihn für den Rest seines Lebens. Das, zusammen mit dem Gefühl von Scham bezüglich dieser Zeit, sorgt nicht gerade dafür, dass ein Mensch aus sich herausgeht. Wenn man nicht zuvor schon introvertiert war, ist man es spätestens jetzt.

Zusätzlich zu seiner Introvertiertheit kommt sein Kontrollzwang, der sowohl durch seine Erlebnisse in Sachaka, als auch durch das Wahren seines Geheimnisses bedingt ist (siehe dazu auch 50 Shades of Akkarin – warum Akkarin kein romantischer Held ist). In Sachaka hatte er keine Kontrolle über sein Leben, als Hoher Lord braucht er die Kontrolle über die Situation mit den Ichani und allem, was damit zusammenhängt. Mitwisser bedrohen dieses fragile Kontroll-Konstrukt, selbst wenn diese noch so sorgfältig ausgewählt sind.

I am always wary of revealing more than I need to. (Akkarin, Kapitel 30, The High Lord)

Aus Sicht eines extrovertierten Menschen mag das unlogisch erscheinen. Aus Sicht eines Menschen wie Akkarin ergibt das absolut Sinn.

Ein Mensch, der introvertiert ist und unter einem Kontrollzwang leidet, tut sich generell sehr schwer, andere in sein Leben zu lassen und Persönliches preiszugeben. Generell lässt sich jedoch sagen, dass Introvertiertheit allein schon ein hinreichend großes Hemmnis darstellen kann.

Das Schwierige mit introvertierten Menschen (davon kann ich selbst ein Lied singen und ich kenne einige, denen es ähnlich ergeht) ist, dass die Hemmschwelle, einem Menschen etwas sehr Persönliches anzuvertrauen, häufig umso größer ist, je näher einem diese Person steht.

Warum ist das so?

Weil diese Person einen kennt. Weil man Angst hat, auf diese Weise Dinge von sich zu offenbaren, die das Bild, das diese Person von einem hat, auf eine Weise beeinflussen, die einem Unbehagen einflößt. Das kann von Mitleid, bis Abneigung und Hass alles sein. Je persönlicher und traumatischer das Thema ist, desto größer ist die Angst und desto größer ist damit die Hemmschwelle.

Sich zu öffnen und Persönliches preiszugeben, macht verletzlich. Und je mehr uns ein anderer Mensch kennt, desto effektiver kann er dieses Wissen gegen uns verwenden. Indem wir uns in uns selbst zurückziehen, schützen wir uns davor.

Denn es ist die Zurückweisung der Menschen, die uns am nächsten stehen, die wir am meisten fürchten.

In den ersten Wochen und Monaten nach seiner Rückkehr aus Sachaka will Akkarin vor allem eines: vergessen. Die Bedrohung ist nicht akut und die Scham über die Erlebnisse überwiegen. Würde er sich Lorlen anvertrauen, würde jede ihrer Begegnungen, ihm ins Gedächtnis rufen, dass dieser bescheid weiß und im schlimmsten Fall Mitleid empfindet. Und Mitleid ist das Letzte, was Akkarin will und gebrauchen kann. So wie ich Akkarin einschätze und angesichts persönlicher Erfahrungen könnte er damit nicht umgehen.

Lorlen mag Akkarins längster und bester Freund in der Gilde sein, aber anders als Takan ist er nach Sachaka nicht mehr sein Vertrauter.

Der Angst vor Kontrollverlust, wie in diesem Fall, die Kontrolle über einen stabil scheinenden Zustand von Sicherheit für die Gilde zu verlieren, verkompliziert dies.

Spätere Schwierigkeiten

Später sind Akkarin und Lorlen in den höchsten Positionen der Gilde und unterliegen damit einer großen Verantwortung, der sie ihre Freundschaft unterordnen müssen.

Anders als Akkarin, der die Regeln gerne zu seinen Gunsten verbiegt, ist Lorlen spießig, rechtschaffen und regelkonform. Für ihn hat die Gilde Vorrang vor allem anderen, selbst vor seinem besten Freund und Menschenleben.

Akkarin kennt Lorlen (nicht nur durch die Wahrheitslesung) gut genug, um zu wissen, dass dessen Loyalität zuallererst der Gilde gilt.

’Lorlen, however, would sacrifice you if it meant saving the Guild.’ (Akkarin, Kapitel 13, The High Lord)

Und Lorlen bestätigt dies implizit in seiner Sterbeszene, als sie sich endlich ’aussprechen’, nur dass seine Worte hier eine andere Bedeutung erhalten, weil er die Wahrheit erkannt hat.

’Kyralia’s safety was more important than our friendship. It still is.’ (Lorlen, Kapitel 34, The High Lord)

Selbst, wenn Akkarin sich Lorlen anvertraut und Lorlen begreift, dass Akkarin nicht plant ’die Gilde zu übernehmen’, wie es im Buch so gerne heißt, müsste er im Sinne der Gilde handeln und Akkarin aus dem Verkehr ziehen, weil dieser gegen eine der wichtigsten und heiligsten Regeln der Gilde verstoßen hat. Da hat Lorlen auf Grund seiner eigenen Verantwortung gegenüber der Gilde und weiteren politischen Gründen keinen Handlungsspielraum. Akkarin müsste mindestens seines Amtes enthoben werden, weil er als Hoher Lord nicht mehr tragbar ist. Die Ichani würden davon erfahren und die Situation zu ihren Gunsten nutzen.

Auf Grund seiner eigenen Loyalität zur Gilde kommt Lorlen, der Administrator, als Vertrauter daher ebenfalls nicht in Frage.

Es bleibt der Interpretation überlassen, ob Lorlen wirklich so gehandelt hätte, oder ob er sich im Geheimen auf Akkarins Seite gestellt hätte. Aber das spielt keine Rollen. Auf Grund seiner Furcht vor Kontrollverlust und der zu großen Überwindung, sich seinem Freund anzuvertrauen, würde Akkarin niemals mit ihm über dieses Thema sprechen. In Akkarins Gedankenwelt denkt Lorlen so und würde so handeln und es ist zu wichtig, die Kontrolle über die Situation mit den Ichani zu behalten, als dass er bereit ist, dieses Risiko einzugehen.

Hätte er Lorlen eingeweiht und hätte dieser Verständnis gezeigt, so hätte er dennoch in seinem Bestreben, das Richtige zu tun, sich für das Falsche entschieden. Weil auch er nicht aus seiner Haut kann. Und das auch gar nicht soll.

Was Sonea als Komplizin qualifiziert

Sonea ist unkonventionell und hat starke Vorstellungen von Moral und Ehre. Ihre Wahrheitslesung hat Akkarin genug offenbart, was ihn überzeugt, dass sie die bessere Kandidatin ist. Dazu kommt, dass Akkarin bei ihr komplett unten durch ist, während zwischen ihm und Lorlen noch immer eine Restvertrautheit herrscht, die es einem Menschen Akkarin erschwert, ausgerechnet dort aus sich herauszugehen.

Mit Sonea ist es anders.

Denn wenn man eh verschissen hat, dann ist es sowieso egal.

Für Nicht-Intros klingt das wahrscheinlich absolut unlogisch. Auch Sicht eines Intros ist es jedoch überaus logisch. Denn wir Intros ticken anders. Wir haben Angst uns zu öffnen, denn wir fürchten uns zu sehr vor Verlust und Bloßstellung.

Und auch Akkarin hat solche Ängste. Und er schämt sich für seine Vergangenheit. Wenn man die Bücher sehr genau liest, kann man diese Stelle finden. Er mag nach außen hart und berechnend wirken, was er zu einem guten Teil auch ist, aber damit schützt er, was ihn angreifbar macht. Er ist nicht perfekt, er hat Schwächen. Und das hier ist eine.

Er vertraut sich Sonea also nicht an, weil er ein scheiß bester Freund ist. Und er vertraut sich ihr nicht an, weil er anfängt, Gefühle für sie zu entwickeln. Vielleicht ist es das, was Canavan will, aber Akkarin ist sehr viel komplexer als das.

Ich als Intro kann Akkarin sehr gut verstehen. An seiner Stelle hätte ich es genauso gemacht und nach dem Abwägen aller Risiken und Pros und Contras meine Novizin eingeweiht. An seiner Stelle hätte ich alles getan, um das Risiko, dass die Gilde angegriffen wird, zu minimieren und da ist Sonea verglichen mit einem spießigen, pflichtbewussten und regelkonformen Administrator einfach die bessere Option.

Hätte Akkarin anders gehandelt, so wäre ich enttäuscht und würde denken, dass Canavan ihn ooc gemacht hätte.

Dennoch bin ich überzeugt, dass Akkarin mit dem Gedanken gespielt hat, Lorlen alles zu erzählen, und das gewiss mehr als einmal. Denn er ist niemand, der gerne lügt. Schon gar nicht gegenüber seinem besten Freund. Sein rhetorisches Geschick ermöglicht ihm, um die Wahrheit herumzureden, doch selbst damit fühlt sich das für einen ehrenhaften Menschen falsch an. Ganz besonders, wenn man es gegenüber einem geliebten Menschen tut.

Es wäre schön gewesen, hätte er es gekonnt. Aber so ist es nicht gedacht und Akkarin und Lorlen sind als Figuren nicht so konzipiert, dass sie in dieser Hinsicht aufeinander zugehen könnten. Sie sind so geschaffen, dass ihre Freundschaft einen tragischen Verlauf nehmen muss. Und obwohl man ihnen als Leser etwas anderes entgegenschreien will, ist genau dieses bittersüße Wissen, um diesen tragischen Verlauf eines der Dinge, die die Bücher so besonders machen, indem sie den Leser bewegen.

Ich hoffe, ich konnte euch Akkarin Beweggründe für diese Entscheidung ein wenig näherbringen und euer Verständnis für diesen wunderbaren Charakter ein wenig vertiefen. Vielleicht schreibe ich demnächst einen Artikel über seinen Kontrollzwang und was das mit seinem Verhalten auf dem Weg nach Sachaka zu tun hat, denn auch darüber hatte ich schon einige Diskussionen. Doch für den nächsten Sonntag steht ein lange überfälliges Sumikränzchen an.

Acknowledgements:

Danke an meine Testleserin, von der ich ausgehe, dass sie lieber anonym bleiben möchte, und Little Snowfall für das Lesen und Diskutieren über des Drafts.

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