Alles nur geklaut: Von Crossover-Charakteren, Interferenzen und der Wahrheit über meine OCs

Es ist unglaublich, wie eine Erkenntnis manchmal zu etwas völlig anderem führt. Wie sie dabei einen Zauber schafft und in letzter Konsequenz einen anderen Zauber aufhebt. Wie in diesem Fall die Wahrheit über die OCs (OC = Own Character) in meinen Geschichten.

Aber der Reihe nach.

Vor ein paar Tagen, nach ausgiebigem Schwelgen meinem NaNo-Projekt „The Project which may not be named“, wurde mir klar, dass ich dem Hauptcharakter hoffnungslos verfallen bin. Der Prozess war schleichend und ich hatte nicht einkalkuliert, dass es so eskaliert. Und der Zeitpunkt könnte nicht ungünstiger sein. Als wäre es nicht schon genug, dass ich neben Akkarin einen zweiten Buchcharakter zum Lieblingscharakter erhoben habe! Die Wahrheit ist jedoch: Es ist strenggenommen kein dritter Charakter. Ich habe etwas getan, das ich früher schon unbewusst getan habe, wenn auch nicht in diesem Extrem:

Ich habe zwei großartige Charaktere miteinander gekreuzt.

Und heraus kam dabei etwas, das wenn ich nach meinem eigenen Geschmack gehe, noch großartiger ist, als jeder dieser beiden Charaktere für sich. Ich bin absolut begeistert.

Das Prinzip ist ähnlich wie die Interferenz von Wellen in der Physik. Bei zwei Wellen mit exakt gleicher Wellenlänge vergrößern sich Berg und Berg und Tal und Tal vertiefen sich. Das nennt man sich verstärkende Interferenz. Liegen Berg und Tal übereinander, so löscht sich beides aus. Natürlich kommen noch Faktoren wie Wellenlänge und Amplitude etc. hinzu, aber ich will euch nicht langweilen. Auf Charaktere übertragen bedeutet dies: Wenn ich von zwei großartigen Charakteren die herausragendsten Eigenschaften nehme und zusammenmixe, kommt dabei ein noch großartigerer Charakter raus. Mische ich falsch, will das Ergebnis niemand haben. Und das funktioniert mit sowohl mit guten als auch mit schlechten Eigenschaften.

So war es auch bei meinem NaNo-Projekt. Bis zu einem gewissen Grad war das beabsichtigt, das Resultat hat mich jedoch selbst überrascht. Jetzt erschwert mir genau das, mich von dem Projekt wieder zu lösen und mich der Arbeit an „Das Erbe 2“ zuzuwenden. Trotzdem ist das Resultat etwas Wunderbares. Ich kann jenen Hauptcharakter aus „The Project which may not be named“ getrost als Hommage an meine liebsten beiden Buchcharaktere bezeichnen (Akkarin, den ihr ja alle kennt, und Gavin aus Lightbringer, was man nachvollziehen kann, wenn man Akkarin liebt und beide Reihen gelesen hat). Von beiden steckt in dem neuen Charakter, was ich als das Beste an ihnen betrachte und damit brauche ich nicht das Gefühl zu haben, dass ihm einem von ihnen „untreu“ würde. Schließlich sind sie miteinander zu diesem verschmolzen.

Ich würde euch gerne beschreiben, wie ich das gemacht habe, weil das sicher für den einen oder anderen Fanfiction-Autor interessant ist. Und vielleicht ist ein solcher Einblick auch für meine Leser interessant. Ich werde oft gefragt, wie ich auf dieses oder jenes gekommen bin, und erkläre gerne, sofern ich es erklären kann. In diesem Fall kann ich es euch jedoch leider nicht sagen. Charaktere schreibe ich rein nach Intuition. Ich starte mit einer groben Idee, habe eine Vorlage im Kopf von einem anderen Charakter, einem Klischee oder einer real existierenden Person und dann verselbstständigt sich das Ganze. Discovery Writing halt. In diesem Fall hatte ich „irgendwas mit Akkarin und Gavin“ im Kopf. In den vergangenen beiden Monaten wurde aus dieser sehr vagen Beschreibung etwas sehr Konkretes.

Das Schöne an diesem Ansatz ist ja, wie ich in dem einen oder anderen Artikel schon einmal diskutiert habe, dass ich darüber den Charakter nach und nach kennenlerne und die (theoretischen) Leser tun dies auch. Ich laufe nicht Gefahr, den Leser gleich im ersten Kapitel mit Infodumping zuzumüllen, sondern biete ihm die Chance, den Charakter und seine Geheimnisse zu entdecken. Natürlich gibt es auch hier immer wieder etwas, das ich bei der Überarbeitung nachtragen oder korrigieren muss, weil ich zum Ende hin ein vollständigeres Bild von dem Charakter habe. Doch es gibt weniger zu tun, als würde ich mir zu Beginn ein komplettes Charakterkonzept erstellen, was nach drei Kapiteln nicht mehr funktioniert, weil der Charakter eine ganz andere Dynamik entwickelt hat.

Daher reicht es für mich, ein Crossover aus meinen beiden Lieblings-Anthelden zu kreieren, indem ich mit „irgendwas mit Akkarin und Gavin“ starte. Klingt komisch, ist aber so. Was mich betrifft, so hat dieses Prinzip funktioniert, und meine Begeisterung rührt nicht nur von der Begeisterung für den Charakter und seine Qualitäten, sondern auch daher, dass dieses Experiment gelungen ist. Ich habe die für mich perfekte Hommage an die beiden geschaffen. Und das finde ich ziemlich cool.

Alles nur geklaut?

Nicht so cool ist, was das in letzter Konsequenz bedeutet. Denn im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich nicht zum ersten Mal zwei Charaktere gekreuzt habe. Als ich 2011-2013 „Die zwei Könige“, Teil 2 meiner alternativen Fortsetzung von Black Magician, schrieb, kreuzte ich Akkarin mit Khal Drogo aus Game of Thrones (dem Buch) und invertierte das Ganze in einen Antagonisten. Heraus kam Marika, mein böser heißer König, nachdem ich später auch meinen Kater benennen sollte. Ein Jahr später, als die Geschichte im Spätsommer 2014 online ging, stellte sich heraus, dass er seinen Zweck erfüllte: Er polarisierte die Leser und rief entweder endlosen Hass oder endlose Verehrung hervor. Viele Leser empfanden ihn jedoch trotz ihrer Abneigung als gelungenen Antagonisten, was mir bestätigte, dass meine Absicht gelungen war.

Und es geschieht auch bei Charakteren, die ich nicht fangirle, sondern auf andere Weise mag oder toll finde. Oder schreibe einen Charakter als Hommage an einen anderen Charakter oder eine Person aus dem realen Leben.

Nehmen wir zum Beispiel Ivasako: Viele Leser lieben ihn. Sein dunkles Geheimnis ist jedoch: Er ist eine Kreuzung aus Lorlen und Takan. Nach „Die zwei Könige“ mag er sich davon wegentwickelt haben, weil sein Freund und Meister tot war, aber wann immer ich ihn in dieser Geschichte lese, schreit er für mich nach Lorlen und/oder Takan.

Oder Ienara: Sie ist eine Hommage an Inara aus der Serie Firefly, was sich nicht nur in der Namensähnlichkeit widerspiegelt.

Danyara: auch eine Hommage.

Oder der nette Lonmar, der in meiner zweiten Trilogie „Das Erbe der schwarzen Magier“ eine Rolle spielen wird und den momentan noch nicht einmal meine Testleser kennen. Er ist eine Hommage an Drago aus der Serie Spartacus.

Natürlich gibt es auch eine Menge OCs, die nicht so entstanden sind, dies sind jedoch häufig Nebencharaktere und somit farbloser. Doch sobald ein Charakter eine gewisse Wichtigkeit für die Handlung hat, ist er eine Hommage an mindestens einen anderen fiktiven Charakter oder an eine reale Person. Einerseits macht es das Resultat umso schillernder, andererseits entzaubert es auch, hat man es einmal durchschaut. Denn es spiegelt sich hier umso deutlicher wieder, dass ich vor allem eines bin: eine Fanfiction-Autorin.

Bis jetzt hat mir daraus noch niemand einen Strick gedreht, aber ja, das ist die Wahrheit über meine OCs. Und ich frage mich: Stört es die Leser nicht? Ich weiß, dass Brent Weeks als Vorlage für seinen Gavin Odysseus gedient hat. In einem Interview gibt er es indirekt zu, doch vor allem springt es einem förmlich entgegen, wenn man die Odyssee liest. Als störend empfinde ich das nicht. ES ist nur eine vage Vorlage mit einigen wenigen Charaktereigenschaften. Odysseus’ unerfreuliche Charaktereigenschaften wie z.B. die Untreue gegenüber seiner Frau oder seine sehr exzessive Gewaltbereitschaft hat Weeks zum Glück nicht übernommen. Die Vorlage hat in ihrer Umsetzung ein Eigenleben entwickelt und man erkennt sie nur als solche, wenn man sehr genau hinsieht. Denn Gavin ist sehr viel mehr, sehr viel komplexer und vielschichtiger als Odysseus je sein könnte.

Bei meinen Charakteren schreit mir dagegen förmlich entgegen, was ich wo geklaut habe. Bei meiner neusten „Schandtat“ ganz besonders. Aus allem, was er tut, lese ich „Ja, das ist Akkarin. Ja, das ist Gavin.“ Es mag hier unter anderem darum gegangen sein, mit meiner Begeisterung für zwei Buchcharaktere fertigzuwerden und ich fangirle das Resultat ihn ohne Grund so heftig, geklaut ist es trotzdem. Von diesem Standpunkt aus betrachtet kommen mir Begriffe wie „Crossover-Charakter“ oder „Hommage“ ein wenig euphemistisch vor. Im Fanfiction-Bereich ist das immerhin tolerierbar. Ernüchternd finde ich es trotzdem.

Mir wurde schon häufiger gesagt, dass ich ein Händchen für Charaktere hätte. Was die Umsetzung und das Hineinversetzen angeht, die Ausarbeitung ihrer Details und die Interpretation der Feinheiten ihres Verhaltens im Original, so kann ich das mittlerweile recht gut glauben und für mich annehmen. Trotzdem sind meine OCs keine echten eigenen Charaktere, sondern zusammengewürfelt oder angelehnt an andere Charaktere. Auch andere Autoren haben Vorlagen, bei ihnen merkt man es jedoch nur, wenn man genau hinsieht. Bei mir schreien die Charaktere es einem regelrecht entgegen.

Also schön. Ich kann keine richtigen OCs schreiben und ich kann keine Plottwists. Immerhin bin ich mir meiner Schwächen bewusst. Die Eigenleistung in meinen Geschichten schmälert es zum Glück nur geringfügig, da ich hauptsächlich Vorgeschichte und Fortsetzung des Originals schreibe und die Charaktere dazu entweder auf ihre Vorlage hin- oder von ihr fortentwickelt werden. Zudem gibt es Worldbuilding und allein durch die Fülle an Charakteren unglaublich viel Potential, das ich ausschöpfen kann. Es ist also nicht ganz so schlimm. Schade nur, dass ich das nach 20 Jahren des Schreibens noch immer nicht gelernt habe.

Und was „The Project which may not be named“ betrifft, so kann ich mich damit trösten, dass die Kreuzung meiner beiden Lieblingscharaktere etwas geschaffen habe, das mich persönlich total umhaut und mich wünschen lässt, dass ich eine Superkraft hätte, die einen Charakter durch das Schreiben in die reale Welt transferiert.