Fan zu sein bedeutet nicht, das Hirn abzustellen

Von überarbeiteten Rezensionen und warum es wichtig ist, reflektiert zu sein

Nachdem Blood Mirror, der vierte Band der Lightbringer-Reihe, mich auf Grund mäßig entwickelter Storylines und nicht nachvollziehbarer Charakterentwicklung (bis auf eine einzige Ausnahme) derart angefixt hat, dass ich nach langem Überlegen meine Rezension überarbeitet und das Rating drastisch heruntergestuft habe, wurde mir klar, dass ich viel zu lange über Schwachstellen meiner Lieblingsbücher hinweggesehen habe. So leidenschaftlich ich meine Lieblingsbücher verteidige, wenn sie zu unrecht zerrissen werden, so sehr habe ich die mir bewussten Schwächen mit einem Schulterzucken abgetan und dem Buch fünf Sterne gegeben, selbst wenn die Schwächen essentiell waren.

So auch mit The Black Magician Trilogy, meiner Lieblingsbuchreihe aller Zeiten und dem Stoff, aus dem meine Fanfictions sind. Längen? Logikfehler? Charaktere, deren Verhalten auf die Story hingebogen wird? Gibt es, aber Hauptsache, die Bücher erzeugen Fangirlgefühle und der Schreibstil ist schön. Das Ende ist so ziemlich jeder Hinsicht unterirdisch? Geben wir The High Lord doch trotzdem fünf Sterne, weil ich Akkarin so sehr liebe und er hier unglaublich ehrfurchtgebietend ist. Und natürlich wiegt das jede Kritik auf. Selbst das unsägliche Ende.

Ich kann und will das so nicht fortführen. Es fühlt sich falsch an, die Augen vor Schwächen und Fehlern zu verschließen und diese nach außen schönzureden, nur weil ich diese Bücher so abgöttisch liebe. Bei Menschen funktioniert es ja auch. Und bei Büchern, die ich nicht mag. In Reviewantworten diskutiere ich diverse Schwächen von Black Magician seit ich auf Fanfiktion.de veröffentliche, also seit mehr als vier Jahren. Weil diese Schwächen viel zu häufig in meine Fanfictions intervenieren und ich eine plausible Erklärung finden oder in ganz harten Fällen den Canon zugunsten der Logik missachten muss, komme ich gar nicht daran vorbei. Die alten Rezensionen auf meinem Blog reden all dies schön und übersehen außerdem noch einige wichtige Punkte. Als ich das neulich gesehen habe, habe ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Also habe ich mich nach stolzen zehn Re-reads endlich aufgerafft und meine inzwischen nicht mehr aktuellen Rezensionen der Bücher überarbeitet und mich dabei auf die harten Fakten konzentriert. Dementsprechend fällt das Rating nun harscher aus. Das bedeutet nicht, dass das Gefühl, das mir die Bücher geben, weg ist. Das bedeutet nicht, dass ich Akkarin weniger liebe und mich mit Sonea weniger identifiziere als vor acht Jahren. Und es bedeutet nicht, dass ich die anderen Charaktere weniger liebe.

Es bedeutet lediglich, dass ich meine Lieblingsbücher nicht mehr blind vor Begeisterung betrachte und die emotionale Komponente bei der Bewertung nicht mehr die Hauptrolle spielt. Gefühle haben die unerfreuliche Angelegenheit, uns Dinge durch die rosarote Brille sehen zu lassen. Das macht uns dafür anfällig, das Wesentliche zu übersehen.

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich die Rezensionen wirklich überarbeiten soll. Meine Meinung ist an vielen Stellen harsch und hat das Potential, jeden Canavan-Fan vor den Kopf zu stoßen. Aber soll ich ein Buch wirklich in den Himmel loben, nur weil die Charaktere so liebenswert sind und weil mir der Schreibstil gefällt? Oder weil es vom Lieblingsautor ist? (Was Canavan nebenbeibemerkt seit dem Ende von The High Lord nicht mehr werden kann, aber ich will auf etwas Bestimmtes hinaus.) Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich kann nicht so tun, als wäre die Black Magician Trilogy perfekt, nur weil ich mit den Büchern so viel verbinde. Vielleicht werden eingefleischte Canavan-Fans mich deswegen für eine arrogante Bitch halten. Denn schließlich hat das unsägliche Ende dazu geführt, dass ich seit Jahren an meiner eigenen Fortsetzung schreibe. Vielleicht denken sie, dass ich mich für etwas Besseres halte. Denn schließlich ist das und auch wirklich nur das der Grund, aus dem Menschen Fanfiction schreiben (Achtung! Sarkasmus!). Aber ich kann auch nicht ändern, dass Fanliebe für mich bedeutet, etwas in all seinen Facetten zu lieben und die schlechten Aspekte nicht schönzureden oder beflissentlich zu übersehen. Ich bin ein Fan, aber ich bin nicht blind.

Manche Kritikpunkte, wie z.B. Lorlens inkonsequente Implementierung, die hauptsächlich darauf abzielt, die Handlung in eine bestimmte Richtung zu treiben, ist mir erst mit der Zeit aufgefallen. Als ich jene Passagen für Schwärzer als die Nacht aus Akkarins Sicht schreiben musste, hatte ich enorme Schwierigkeiten, Lorlens Verhalten plausibel erscheinen zu lassen, weil mir da das Ausmaß des Problems erst richtig bewusst wurde. Nichtsdestotrotz würde ich mir niemals anmaßen, die Bücher in einer Fanfiction neu zu schreiben und von Canavan begangene Fehler auszumerzen. Damit würde ich Canavans Arbeit nicht nur nicht respektieren, sondern versuchen, etwas Besseres daraus zu machen. Im schlimmsten Fall würde ich dabei sogar neue Fehler produzieren.

Die überarbeiteten Rezensionen sind im Menu unter „Die Gilde der schwarzen Magier“ zu finden und hier noch einmal direkt verlinkt. Wundert euch nicht, dass ich sie auf Englisch geschrieben habe. So mache ich das mittlerweile mit allen Rezensionen, die ich auf Goodreads poste, um sie auf diese Weise einer größeren Leserschaft zur Verfügung zu stellen. Sollte ich irgendwann einmal zu viel Zeit haben, werde ich sie für diesen Blog vielleicht übersetzen.

The Black Magician Trilogy:

The Magician’s Apprentice (Prequel) (1 Stern)

Das Review zur Vorgeschichte habe ich ebenfalls neu geschrieben, weil einige meiner Gedankengänge auch hier mit einfließen und ich die Dinge einheitlich mag. Inhaltlich hat sich bei diesem jedoch eher wenig geändert, da ich das Buch noch nie gut fand.

Warum es wichtig ist, kritisch zu sein

Seit 2009, seit meiner ersten Begegnung mit Akkarin, Sonea und den anderen Magiern, habe ich viele Bücher gelesen. Einige waren schlechter als Black Magician, die meisten waren jedoch besser. Ich habe meine Lieblingsautoren George R.R. Martin, Brent Weeks und Brandon Sanderson entdeckt. Alle drei schreiben High/Epic Fantasy im großen Stil mit toller Sprache (zumindest im Englischen, die deutschen Übersetzungen kenne ich nicht und habe darüber teilweise Haarsträubendes gehört) und unglaublich komplexen Plots. Die beiden Letztgenannten erschaffen außerdem Magiesysteme, die so ausgefeilt sind, dass ich vor Neid regelrecht erblasse. Darüber hat sich nicht nur mein Lesehorizont erweitert, ich hatte auch bei ihnen das Phänomen, dass manche ihrer Bücher weniger gut waren, als andere und ich mir darüber Gedanken gemacht habe, warum das so ist. Hier fiel mir das leichter. Denn obwohl diese Autoren ziemlich tolle Charaktere schreiben, fällt der Fangirleffekt hier weniger heftig aus. (Abgesehen von einem Charakter aus Lightbringer, der Akkarin harte Konkurrenz macht. Aber er war der Grund, warum ich die Bücher ein zweites Mal sehr kritisch gelesen habe.)

Der Fangirleffekt, oder ganz allgemein große Begeisterung, lässt uns blind sein. Es ist als wäre man verliebt. Verfliegt die Verliebtheit, so entscheidet sich, ob es Liebe ist oder nicht. Das hängt unter anderem davon ab, ob man die Schwächen und Fehler des anderen akzeptieren kann, oder ob man merkt, dass man nicht zueinander passt. Mit Büchern kann einem das auch passieren. Oder mit Filmen. Vor zwanzig Jahren oder vor zehn Jahren fand ich Filme toll, bei denen ich heute heftig den Kopf schütteln würde. Und wenn es nur ist, weil mir ein Thema zu unsensibel behandelt wird. Der Film Secretary ist ein solches Beispiel. Der Film ist unglaublich witzig und originell, aber das Thema Borderline wird meiner Meinung nach sehr unsensibel behandelt, was mir mittlerweile die Freude an dem Film nimmt. Andere Filme liebe ich noch heute abgöttisch, obwohl ich mir der Fehler bewusst bin, wie z.B. bei den ganz alten Star Wars Filmen. Hier sträuben sich mir vor allem als Astrophysiker die Nackenhaare. Und mit Black Magician geht es mir genauso. Ja, die Bücher haben Fehler. Canavan hat einige Charaktere vermurkst, weil sie sie so geschrieben hat, dass es zur Story passt. Ja, das Ende ist scheiße. Ja, der Schreibstil ist auch nicht sonderlich herausragend (auch wenn ich viele kenne, die das anders sehen). Aber jedes Mal, wenn ich die Bücher lese, fühlt es sich an, wie nach Hause zu kommen. Jedes Mal, wenn Sonea sich in Akkarin verliebt, verliebe ich mich mit ihr. Und Akkarin ist auch der Grund, warum ich spätestens ab Kapitel 37 mein alternatives Ende rauskrame.

Reflektionsvermögen ist in allen Lebenslagen wichtig. Indem wir über das Handeln fiktiver Charaktere nachdenken, reflektieren wir auch unser eigenes Verhalten und unsere Ansichten und Einstellungen. Denn Lesen bildet, auch wenn man Unterhaltungsliteratur liest.

Hauptsache, der Schreibtstil ist schön

Dadurch, dass ich selbst schreibe, weiß ich, wie wichtig es nicht nur ist, Autoren konstruktives Feedback zu geben, sondern auch kritisch zu lesen. Nicht nur als Autor, aber vor allem auch dann. Wir lesen Bücher kritisch, sobald es um Verherrlichung von Gewalt, politische Themen, psychische Krankheiten oder andere kontroverse Themen geht. Wird das Thema nicht sensibel genug oder politisch inkorrekt umgesetzt, ist das Geschrei, berechtigterweise, groß. Aber wenn es der Lieblingsautor ist und man einen Charakter und/oder den Schreibstil toll findet, ist auch gleich das ganze Buch toll und Fehler und Schwächen werden großzügig ignoriert? Wo ist da bitte die Logik? Und was nützt es einem Autor, ständig in den Himmel gelobt zu werden? So kann sich kein Autor weiterentwickeln und bessere Geschichten schreiben. Freilich liest kein Autor sämtliche Rezensionen zu seinen Büchern, aber ist das ein Grund, keine zu schreiben oder ausschließlich zu loben und Schwächen und Fehler unter den Tisch zu kehren? Allein weil die Chance besteht, dass er hin und wieder in die Rezensionen schaut und darüber reflektiert, ist es wichtig. Und auch ein Autor muss beim Lesen kritisch sein, um aus Büchern zu lernen, wie man etwas macht bzw. nicht macht. Wenn ich Bücher lese oder einen Film schaue, läuft in einem Hintergrundthread meines Hirns ein Analyseprogramm, das sich ständig selbst aktualisiert, in Dauerschleife. Beim Schreiben hilft das ungemein. Nicht reflektiert zu lesen bringt jemaden, der selbst schreibt, nicht weiter.

Ein Buch wird nicht allein dadurch gut, dass der Schreibstil schön ist und es vom Lieblingsautor geschrieben wurde.

Habe ich selbst ein Buch gelesen, das von Fehlern und Schwächen nur so strotzt, aber von anderen gehypt wird, muss ich immer heftig mit dem Kopf schütteln. Ich bin sehr viel auf Goodreads unterwegs und es ist wirklich faszinierend, was man da alles findet. Rezensionen sagen nicht nur sehr viel über die Bücher selbst aus, sondern auch über ihre Verfasser. Mittlerweile kann ich keinen Rezensenten mehr ernstnehmen, die die missbräuchliche Beziehung von Ana und Chedward als romantisch bezeichnen, aber im gleichen Zug Daenerys’ Gefühle für Khal Drogo als Stockholm-Syndrom bezeichnet. Ich würde keine Empfehlung für einen BDSM-Roman von jemandem annehmen, der es für BDSM hält, wenn der sogenannte Dom auf Grund traumatischer Kindheitserlebnisse darauf steht, Frauen zu schlagen, die wie seine Mutter aussehen. Selbiges gilt für Leser, die gutheißen, dass ein selbstbewusster Charakter mit jemanden zusammenkommt, der ihn Jahre zuvor aufs Übelste gemobbt und schikaniert hat, nur weil besagter Charakter auf einmal nett ist und sich „warm“ anfühlt.

Romantisierungen sogenannter abusive relationships werden gerne damit gerechtfertigt, dass es ja „nur Fiktion“ ist. Wenn sich ein Opfer von Mobbing, Missbrauch oder Gewalt in seinen Peiniger verliebt, ist es romantisch, weil es ja nur eine Geschichte ist. Aber würden diese Leser, sofern sie selbst ein solches Opfer waren, sich in ihren Peiniger verlieben? Könnten sie ihm vertrauen? Selbst wenn sie ihm eines Tages verzeihen? Ich bezweifle es.

Im gleichen Zug wird wahre Romantik von verdrehten Weltanschauungen schlechtgeredet, wie z.B. bei Dany und Khal Drogo. Allerdings kann ich auch nur darüber den Kopf schütteln, wie häufig George R.R. Martin Frauenfeindlichkeit unterstellt wird, weil hier nicht zwischen Autor und dem kulturellen Rahmen der Handlung unterschieden wird (der sich im übrigen wunderbar dazu eignet, darüber zu schreiben, wie Frauen sich in einer solchen Gesellschaft behaupten und ihren Weg gehen, was Martin wirklich hervorragend umgesetzt hat). Ich kenne keine Buchreihe mit derart vielen starken und dabei unterschiedlichen Frauencharakteren wie A Song of Ice and Fire. So etwas würde kein Mann schreiben, der denkt, dass Frauen an den Herd gehören und dem Mann zu gehorchen haben.

Sobald ein Buch nicht gefällt, kontroverse Themen enthält oder diese nicht angemessen behandelt werden, wird kritisiert und das manchmal auch zu unrecht. Schreibstil und Lieblingsautor sind jedoch Totschlag-Argumente, die dazu führen, dass Schwächen und echte Problematiken übersehen haben. Wie häufig wird übersehen, dass das Verhalten von Charakteren wie Lorlen oder Savara auf den Plot zugeschnitten ist und diese Charaktere darüber ihre Glaubwürdigkeit verlieren? Oder dass die Charaktere aus The Magician’s Apprentice allesamt aus The Black Magician abgekupfert sind? Und auch beim Durchlesen zahlreicher Reviews zu Blood Mirror hat es mich gewundert bis verstört, warum nur so wenigen auffällt, dass nur ein einziger Handlungsstrang bis zum Ende durchdacht wurde und dass ein anderer Hauptcharakter darüber völlig ooc geraten ist. Und es scheint am Ende von The High Lord auch nicht zu stören, dass ein starker, weiblicher Hauptcharakter, nachdem er sein Land mit Leib und Leben verteidigt hat, zurück in das dort vorherrschende Rollenmodell „alle weiblichen Magier werden Heiler“ gedrängt wird.*

Ich finde das ziemlich erschreckend und ich habe mir vorgenommen, von nun an bei mir selbst mehr darauf zu achten. Ich habe noch zahlreiche Buchbewertungen auf Goodreads, die nach einem erneuten Lesen gewiss noch einmal überarbeitet werden könnten. Insbesondere bei den Büchern, die ich lange vor Goodreads gelesen habe, wo ich noch nicht so kritisch war, wie ich es heute bin.

Es ist wichtig, kritisch zu sein und seine Meinung zu hinterfragen und wenn man diese kundtut, dann auf eine konstruktive Weise. Und das sowohl im positiven als auch im negativen Extrem. Aber um wieder auf das Eingangsthema zurückzukommen, von dem ich gerade ziemlich abgeschweift bin: Nur weil ich Fan bin, stelle ich mein Hirn nicht ab. Fan zu sein, bedeutet etwas zu lieben. Liebe bedeutet, die guten und die schlechten Seiten zu lieben. Man liebt nicht weil, sondern obwohl. Liebe bedeutet, zu der Sache oder dem Menschen zu halten, aber seine Schwächen und Fehler nicht zu romantisieren. Sie bedeutet, für das Geliebte einzustehen und es wenn nötig mit Krallen und Zähnen zu verteidigen. Aber sie bedeutet nicht, seine Fehler schönzureden, nur weil andere sie kritisieren. Verliebtheit macht blind. Wahrhaftig lieben kann nur, wer das Geliebte in all seinen Facetten nimmt.

* Zum Thema Frauenbilder und wie damit in Büchern umgegangen wird, werde ich demnächst einen Artikel im Schreibmeer schreiben. Denn ich glaube, dass dieses Thema dort besser aufgehoben ist, zumal es den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.