Magier in fiktiven Gesellschaften und warum Macht nicht mit Machtmissbrauch einhergehen muss

In der Reaktion auf meinen Beitrag zu magischen Ausbildungssystemen fiel ein Satz zu Black Magician, bei dem ich mich ernsthaft gefragt habe, ob ich vielleicht in einer Art Paralleluniversum lebe:

„Was ich an dem Magiesystem aber absolut unglaubwürdig fand ist, dass die zT recht mächtigen Magier völlig offen in der Gesellschaft leben, aber ohne das jemals auch nur irgendwie in Frage zu stellen, dass sie unter der Herrschaft von nichtmagischen Königen steht. Das tun sie seit Jahrhunderten, völlig freiwillig. Sorry, aber das entspricht einfach nicht dem menschlichen Naturell.“

Die allererste Frage, die mir dabei durch den Kopf schoss, war: „Was ist so unnatürlich daran, eine Macht zu besitzen und sich trotzdem einer höheren Instanz unterzuordnen? Warum sollte es der Natur des Menschen entsprechen, diese zu benutzen, um sich in eine herrschende Position begeben?“

Ich weiß nicht, ob es Naivität ist oder in meinem eigenen Naturell begründet liegt, dass ich eine solche Aussage nicht nachvollziehen kann. Doch ich behaupte auch ohne ein sozialwissenschaftliches oder psychologisches Studium hinter mir zu haben, dass die Menschheit sich schon längst selbst ausgelöscht hätte, wenn dies in unserer Natur läge.

Die Stellung von Personengruppen mit Macht in unserer Gesellschaft

Auch in unserer Welt gibt es Personengruppen, die gegenüber der restlichen Bevölkerung eine gewisse Machtposition innehaben, aber dennoch einer höheren Instanz unterstehen. Und diese teilen sogar eine der Funktionen der Gildenmagier aus Black Magician: Sie verteidigen ihr Land im Falle eines Krieges. Ganz genau, ich spreche vom Militär eines Staates oder einer Staatengruppe (z.B. die Nato oder die UN als Äquivalent zu den Verbündeten Ländern). Seine Macht besteht indes nicht in Magie, sondern in Waffen – Waffen und auf deren Benutzung trainierte Soldaten. Damit besitzt das Militär ein potentielles Instrument, mit dem es die Macht im Land an sich reißen und eine Militärdiktatur errichten könnte. Weder die Regierung noch die Bevölkerung hätten dem viel entgegenzusetzen.

In vielen Ländern dient das Militär seinem Land nicht nur im Fall einer kriegerischen Bedrohung, sondern auch bei anderen Katastrophen und schützt damit die Bevölkerung. Aber es gibt auch Länder, in denen diejenigen mit Macht diese nutzen, um über den Rest der Bevölkerung zu herrschen, was nicht selten mit Menschenrechtsverletzungen und Beschneidung von Persönlichkeitsrechten einhergeht. Oft unterscheidet sich die dort gelebte Kultur von der unseren. Natürlich gibt es auch in den westlichen Ländern Fälle von Größenwahn, die in sowas wie Hitler oder Stalin gipfeln. Doch wir wissen alle, wie das ausging.

Bevor das hier zu politisch wird und mir nachher noch unterstellt wird, ich wäre ein Terrorist oder würde hier eine Anleitung zum Ergreifen der Weltherrschaft bereitstellen, begebe ich mich wieder in sicherere Gefilde. Zudem kann ich die psychologischen und sozialwissenschaftlichen Aspekte der Frage, warum man sich unabhängig von der eigenen Macht einer höheren Instanz unterordnet, nicht hinreichend abdecken und nur auf Grund dessen argumentieren, was sich für mich instinktiv richtig oder falsch anfühlt.

 

Die Stellung der Magier in Black Magician

Die Gildenmagier werden zwar im Kriegsfall als Streitmacht eingesetzt, aber hinter ihrer politischen Passivität und der Loyalität zu ihrem König und der zivilisierten Lebensweise der Kyralier steckt ein noch sehr viel essentiellerer Grund: In erster Linie sind die Gildenmagier nichts als ein Haufen verschrobener Gelehrter, die in ihrer eigenen Welt leben. Sie interessieren sich kaum bis gar nicht für die Dinge, die sich außerhalb ihrer Gilde ereignen – sind ihnen gegenüber oft sogar blind – und sie sind glücklich damit, übereinander zu tratschen oder ihre kleinen Intrigen gegeneinander auszuspielen. Nachdem ich selbst vier Jahre einem Institut einer deutschen Universität gearbeitet habe, kann ich die Lebensweise der Gildenmagier mehr als nachvollziehen und finde mich darin wieder. Die an meinem ehemaligen Institut angestellten Wissenschaftler hatten außer dem Unterrichten von Studenten, dem Schreiben von Papern und Forschungsanträgen und ihren Kleinkriegen darüber, welche Theorie zu einem Phänomen nun die Richtige ist, nicht viel anderes im Kopf. Die Wissenschaft und die Lehre haben ihr Leben dominiert. Natürlich gab es auch hier ein paar statistische Ausreißer, aber wo gibt es die nicht?

In Black Magician gebieten diese verschrobenen Gelehrten zusätzlich über Magie, womit sie gegenüber der Bevölkerung die obenerwähnte Machtposition erlangen. Das rechtfertigt für mich dennoch nicht, wieso sie ihre Macht nutzen sollten, um gegen den König zu rebellieren oder an seiner statt zu herrschen. Muss denn bloß, weil es Magie gibt, auch ein Magier herrschen? Zudem ist Kyralia ein zivilisiertes Land und mit einem zivilisierten Wertesystem und entsprechenden Gesetzen. Wie bei uns das Militär dürfen auch die Gildenmagier keine Willkür an Nichtmagiern walten lassen, sondern dienen vielmehr zu deren Schutz. Um diesen zu gewährleisten, verbietet das Gesetz zudem, dass Magier außerhalb der Gilde existieren und es ist eine der Aufgaben der Gilde, diese aufzuspüren und unter ihre Kontrolle zu bringen.

Für eine mittelalterliche Fantasywelt ist das gewiss ungewöhnlich, doch die Welt von Black Magician ist nicht die einzige Fantasywelt mit fortschrittlichen Elementen. Was meiner Meinung nach auch völlig legitim ist. Schon die Menschen der Antike (Griechen, Römer etc.) verfügten über Staatsformen, die den heutigen ähneln, während das Mittelalter in dieser Hinsicht ein krasser Rückschritt war. In einer fiktiven Welt, deren Technologie und Wissenschaft sich auf mittelalterlichem Stand befindet, muss dies nicht zwingend auch geschehen sein. In den Büchern finden sich zudem Hinweise auf altertümliche Hochkulturen von Magiern, die bereits ähnlich zivilisiert waren.

Wenn man die Vorgeschichte zu Black Magician, The Magician’s Apprentice, liest, wird zudem klar, dass die Lebensweise der Magier historisch bedingt ist. Einst war Kyralia von feindlichen Magiern besetzt, die die Bevölkerung unterdrückt haben. Es wird zwar nicht erwähnt, doch nachdem Kyralia seine Unabhängigkeit erlangt hat, ist es naheliegend, dass die Bewohner keinen Magier als König wollten. Natürlich gab es in Kyralia noch immer Magier, doch diese lebten damals über das Land verstreut und genossen hohes Ansehen bei der Bevölkerung. Sie hatten in etwa den Stellenwert von Lehnsherren. Nach einem erneuten Krieg gegen die einstigen Besatzer haben sie ihre Gilde gegründet. In den darauffolgenden Jahrhunderten wurden die strengen Gesetze eingeführt, denen die Gildenmagier während Black Magician unterliegen. In jene Zeit fällt auch das Verbot höherer Magie, nachdem ein Magier vom Größenwahn befallen wurde und anfing, seine Macht zu missbrauchen. Daraufhin wurden sämtliche Referenzen über höhere Magie aus der Geschichte getilgt, was gewiss einen leicht utopischen Eindruck der Lebensweise der Magier bewirkt. Meiner Meinung nach ist dies eine natürliche Reaktion, die aus dem Wunsch resultiert, ein solches Szenario nicht noch einmal erleben zu müssen. Die Furcht der Herrscher Kyralias in Bezug auf nicht kontrollierbare Magier hat sich nichtsdestotrotz bis heute gehalten.

Die Gildenmagier sind jedoch nicht die einzigen Magier in dem von Canavan geschaffenen Universum. Mit Sachaka, jenem Land, dessen Magier Kyralia einst besetzt gehalten hatten, hat Canavan ein zu den friedliebenden Gildenmagiern krasses Gegenbeispiel erschaffen. Dort herrschen die Magier über den Rest der Bevölkerung und selbst der König ist ein Magier. Die Lebensweise der Sachakaner geht nach unserem Verständnis mit zahlreichen Menschenrechtsverletzungen einher und auch die Kultur unterscheidet sich grundlegend von der Kultur der Kyralier und damit auch unserer eigenen. Auch die Sachakaner haben ein System, um ihre Magier zu bestrafen, doch da sie höhere Magie beherrschen, bleibt oft nur die Verbannung in die Ödländer. Diese kommt jedoch einem Todesurteil gleich. Die Ödländer bieten nicht viel Nahrung und die dort lebenden Magier kämpfen gegeneinander und ums Überleben. Nichtsdestotrotz zeigt Canavan an Sachaka, was geschieht, wenn Menschen ihre Macht auszunutzen, um über andere zu herrschen. Ich wage daher zu behaupten, dass dies auch eine Frage von Kultur und Wertesystem ist.

 

Magier in anderen fiktiven Welten und in Parallelgesellschaften

Die Magier bei Black Magician sind nicht die Einzigen, die ihre Magie nicht ausnutzen. Die Zauberer in Harry Potter leben in einer Parallelgesellschaft verborgen vor den Augen der Muggel. Damit sind sie zwar nur indirekt mit den Gildenmagiern vergleichbar, trotzdem kann man fragen, warum sie so leben, wenn es doch angeblich dem menschlichen Naturell entspricht, die einem gegebene Macht auszuüben? Ich habe die Bücher vor Jahren gelesen, x-mal die Hörbücher gehört und mindestens ebenso oft die Filme gesehen und ich kann mich an keine Stelle erinnern, wo eine Begründung geliefert wird. Als Zauberer wären sie mächtig genug, über die Muggel zu herrschen, doch stattdessen ziehen sie ein Leben in ihrer eigenen Welt vor (sieht man jetzt einmal von dem guten alten Voldemort und seinem Größenwahn ab). Warum entscheidet das Zaubereiministerium nicht, die britische Regierung und die Queen zu stürzen und selbst zu regieren?

Tatsächlich liefert Frau Rowling dazu keine Begründung (sollte es doch eine geben, so dürft ihr mir dies gerne mitteilen!). Vielmehr habe ich den Eindruck, dass es hier darum geht, den Leser gemeinsam mit Harry in eine magische Welt zu entführen, mit sowohl Leser als auch Protagonist ihrem Leben entfliehen können. Da Harry Potter als Kinderbuch begann, käme dies zumindest nicht überraschend. Natürlich kann man hinterfragen, warum die Zauberer im Verborgenen leben, aber wenn ich ein Zauberer wäre, hätte ich vermutlich auch keinen Bock unter Muggeln zu leben.

Natürlich hinkt der Vergleich ein wenig. Die Zauberer in Harry Potter unterstehen keiner nichtmagischen Instanz, sondern nur dem Zaubereiminister. Sie bilden ihre eigene, in sich geschlossene Parallelgesellschaft. Die Gildenmagier haben zwar ihre höheren Magier und den Hohen Lord, unterstehen aber letztendlich dem König und sind Teil einer überwiegend nichtmagischen Gesellschaft. Dennoch könnte man auch hier fragen, warum sie ihre Macht nicht einsetzen, um über die Muggel zu herrschen, wenn das doch angeblich der menschlichen Natur entspricht.

Eine andere fiktive Gruppe, deren Prinzip den Gildenmagiern ähnlicher ist, sind die Jedi der Alten Republik. Über Jahrtausende haben sie für Recht und Ordnung in ihrer weit, weit entfernten Galaxie gesorgt, während der Senat die Alte Republik regierte. Auch die Jedi unterlagen Regeln, die besagten, dass sie sich nicht in die Politik einmischen, und diese stimmten mit ihrem Wertesystem überein. Ich sehe nicht, was daran fragwürdig oder unnatürlich sein sollte.

Es gibt Dinge, die sind so natürlich und entsprechen dem gesunden Menschenverstand, dass man sie nicht hinterfragen muss. Im Falle meiner Lieblingsbücher habe ich mir dennoch einmal die Zeit genommen, diese Sache genauer zu analysieren, was für mich persönlich überaus spannend und erkenntnisreich war. Letztendlich kann ich in der von Canavans Lebensweise der Gildenmagier keinen Fehler sehen. Sie sind vielmehr ein Beispiel für eine sehr moderne und zivilisierte Kultur.

Ab dem nächsten Artikel werde ich mich mit ernsthaften Schwächen der Bücher befassen. Als erstes wird es dabei um die Tiefe und Komplexität der Charaktere gehen.

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