Der ’schwache’ Akkarin – warum Liebe nicht zu einem romantischen Helden machen kann

Erinnert ihr euch an diesen bösen, bösen Artikel? Dort habe ich mich recht ausführlich der Beziehung von Akkarin und Sonea gewidmet und in diesem Zusammenhang Akkarins Darstellung, ab ihrer Verbannung nach Sachaka kritisiert.

Damals war ich der Meinung, dass Canavan an dieser Stelle zu einfach gedacht hat und Akkarins Verhalten einer anfänglichen Verliebtheit zuzuschreiben ist, weil die Tatsache, dass er sich verliebt, nicht mal eben fünf Jahre Sklaverei heilt. Und ich schrieb, dass diese Entwicklung und ihre „Liebe heilt alle Wunden“-Message vermutlich dafür sorgt, dass er in so vielen Fanfictions weichgespült wird.

Und dieser Meinung bin ich noch immer.

Allerdings sehe ich inzwischen einen weiteren Grund für sein Verhalten während der Verbannung. Und unabhängig davon, was Canavan sich bei dieser Entwicklung gedacht oder auch nicht gedacht hat, erklärt dies aus psychologischer Sicht mehr, als Verliebtheit könnte. Die Verliebtheit ist dabei zwar ein nicht unerheblicher Faktor, doch dass Akkarin während dieser Kapitel so überhaupt nicht akkarin wirkt, hat einen schwerwiegenden Grund.

Seit jenem Artikel sind einige Monate vergangen und in dieser Zeit habe ich mich mit dem Thema aus Akkarins Perspektive auseinandergesetzt, als ich im Juli ’Der Zorn der schwarzen Sonnen’ schrieb. Dadurch war ich gezwungen, Erklärungen für sein Verhalten zu finden, die ich beim bloßen Lesen entweder nur intuitiv wahrgenommen oder hingenommen habe. So auch sein eisiges Schweigen während ihrer Reise nach Sachaka und der damit verbundene, unterdrückte Zorn. Beides resultiert aus Kontrollverlust und damit wird eine ganze Kettenreaktion in Akkarin ausgelöst, die zu seinem Verhalten in Sachaka führt.

Der ’schwache’ Akkarin

Die Entwicklung, die in Gang gesetzt wurde, als Akkarin acht Jahre zuvor Sachaka verließ, zur Gilde zurückkehrte und Hoher Lord wurde, wird bei seiner Rückkehr nach Sachaka umgekehrt. Er verliert alles, was er seit seiner Flucht erreicht hat:

  • Die Kontrolle über die Situation mit den Ichani und damit dem Schutz der Gilde
  • Seinen Rang und seine Macht
  • Sein Ansehen

Was übrigbleibt, ist der Akkarin, der acht Jahre zuvor aus Sachaka floh. Er ist nicht mehr Akkarin-der-Hohe-Lord, er wird, im übertragenen Sinne, wieder zu Akkarin-der-Sklave. Er kehrt in einfachen Kleidern und geringen magischen Reserven nach Sachaka zurück und wird vom Jäger zum Gejagten. Im Buch bekommen wir davon außer seinem abweisenden Verhalten und seinen Albträumen nur wenig mit. Aber wenn man darüber schreibt, findet man Erklärungen, füllt die Anhaltspunkte mit Leben und sucht einen Weg, wie sich alles ins Gesamtbild fügt, ohne seine Figur zu verzerren.

Für mich steht außer Frage, dass Akkarin in den fünf Jahren unter Dakova einige sehr traumatische Erfahrungen gemacht hat. Bis zu einem gewissen Grad hat er sie in den folgenden Jahren verdrängt, indem er sich auf seine Aufgaben konzentriert hat, und vielleicht hat er sie zum Teil verarbeitet. Aber all die Grausamkeiten, all die physische und psychische Folter, seine komplizierte Beziehung zu Dakovas Bettsklavin und den Andeutungen über das, was Dakova den beiden angetan hat, erzeugen zweifelsohne Intrusionen und Flashbacks, die durch seine Rückkehr nach Sachaka ausgelöst oder verschlimmert werden.

Nach außen zeigt Akkarin nicht viel davon, er gibt sich verschlossen und abweisend, denn vermutlich muss er darum kämpfen, nicht zusammenzubrechen. Sonea ist ihm da zunächst nur ein Klotz am Bein. Er muss sie beschützen, obwohl er kaum die Kraft aufbringt, sich um sich selbst zu kümmern, und sich zusammenzureißen und um sein eigenes Leben fürchten muss. Und dann sind da noch seine ungebetenen Gefühle für Sonea, die in Sachaka stärker werden, weil seine Schutzmechanismen nicht mehr funktionieren.

Für mich steht ebenfalls außer Frage, dass seine Gefühle für Sonea echt sind. Würde er sich erst in Sachaka verlieben, würde ich das vielleicht anzweifeln und es eher als einen der Situation verschuldeten, seelischen Rettungsanker bezeichnen. Doch es fängt viel früher an. Die ersten Anzeichen findet man bereits im ersten Kapitel von ’The High Lord’.

Verliebtsein als Ventil für negative Emotionen

Dadurch, dass seine Schutzmechanismen nicht mehr funktionieren, kann er sich gegen diese Gefühle nicht mehr wehren. Vielleicht kommt irgendwann sogar der Punkt, an dem er sie willkommen heißt, weil sie die Dämonen seiner Vergangenheit zurückdrängen. Dies führt unweigerlich dazu, dass sein Verhalten ins andere Extrem umschlägt und er ein emotionales Hoch erlebt – zumindest ist es das, was ich bei Akkarin als emotionales Hoch bezeichnen würde.

Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang die Szene, in der Akkarin zwei Vögel fängt und Sonea Wasser findet. Es ist dieselbe Szene, in der sie sich waschen und anschließend Avala und Parika ausspionieren. Beim Schreiben aus seiner Perspektive fing ich an mich zu wundern, warum er ihr mit den Vögeln hinterherläuft, bloß weil sie ein paar Schritte weiter Wasser gefunden hat. In meinem Kopf hatte ich dabei ein Bild von einem dämlich grinsenden Akkarin, der mit den Vögeln vor Sonea steht und sagt: „Guck mal, Schatz. Ich habe Essen gejagt und zubereitet.“ Denn genauso fühlte es sich an. So überhaupt nicht akkarin.

Wie man vielleicht merkt, habe ich mir mit der Szene einen abgebrochen und bin noch nicht ganz sicher, was ich daraus in der Überarbeitung machen soll (vielleicht eine satirische Einlage?):

Nachdem die Vögel bereit waren, gegart zu werden, hob Akkarin sie mit Magie empor und röstete sie in einer Hitzekugel. Die Steine neben ihm knirschten, als Sonea sich erhob und die Felswand entlang schritt, als suche sie irgendetwas. Noch während Akkarin hinsah, begann sie zu rennen und scheuchte den Vogelschwarm auf, den sich inzwischen auf dem Boden niedergelassen hatte.

Von einer Wasserquelle. Die fertig gegarten Vögel aus der Luft fangend eilte er hinter ihr her.

Mit leuchtenden Augen wandte Sonea sich zu ihm um.

„Es ist sauber.“

Akkarin hielt die Vögel hoch und kam sich dabei überaus dämlich vor. „Essen ist fertig.“

(noch nicht überarbeiteter Auszug aus Kapitel 31, Der Zorn der schwarzen Sonnen. Im Original: Kapitel 23, The High Lord)

Natürlich wissen wir nicht, wie Akkarin sich in einer solchen Situation verhalten würde. Aber wenn man sich ein wenig mit dem Buch beschäftigt, entwickelt man ein Gespür für die Figuren. Und mein Gespür sagt mir, dass ein solches Verhalten eher zu Dorrien oder vielleicht auch zu Dannyl passen würde. Aber nicht zu dem würdevollen und ehrfurchtgebietenden Hohen Lord.

Der Akkarin in Sachaka ist ein ’schwächerer’ Akkarin – ein Akkarin, der all seine Imposanz verloren hat. Denn wie soll er auf seiner Wanderung mit Sonea durch Sachaka stark sein, wenn er kaum Magie hat, um sie beide zu beschützen und die Konfrontation mit der Vergangenheit ihm seine emotionale Kraft raubt? Vielleicht ist ein solcher Akkarin, wenn er verliebt ist, so wie der Akkarin in ’The High Lord’. Vielleicht hat Canavan hier nicht so viel falschgemacht, wie ich lange Zeit dachte. Zumindest nicht in der Änderung seines Verhaltens. Sie hätte nur besser daran getan deutlich zu machen, dass dieser Zustand temporär und der Situation zu verschulden ist und das ganze Thema seiner Vergangenheit ein wenig sensibler und tiefschürfender behandelt, um dies zu verdeutlichen. Denn nur dadurch, dass Akkarin sich verliebt, werden fünf Jahre gefüllt mit seelischen Traumata nicht wieder gut.

Natürlich soll ein Autor dem Leser nicht alles vorkauen. Leser sind nicht dumm und es macht Spaß, das Verhalten der Charaktere zu ergründen und darüber zu philosophieren. Allerdings geht Canavan an vielen Stellen so oberflächlich an die Themen heran, dass es an Fahrlässigkeit grenzt. Denn so suggeriert Akkarins Wandlung in der zweiten Hälfte von ’The High Lord’, dass Liebe alle Wunden heilt. Und das tut sie nicht. Sie heilt gewiss einiges. Aber manches kann sie nur lindern. Und es gibt Fälle, in denen sie nicht einmal das vermag.

Das Problem mit der Interpretation seiner Entwicklung

Viele Fans, so ist zumindest mein Eindruck, nehmen Akkarins Vergangenheit auf die leichte Schulter oder wollen sich nicht damit auseinandersetzen. Dabei hat diese ihn überhaupt erst zu diesem überaus anbetungswürdigen Fangirl-Objekt gemacht. Wie soll man jemanden, egal ob Mensch oder Romanfigur, lieben und verstehen, wenn man sich nicht auch mit seinen dunklen Seiten auseinandersetzt? Stattdessen wird er zum romantischen Süßholzraspler verklärt und das ist definitiv falsch. (Andere mache aus ihm einen harten, verbitterten oder überaus manipulativen Unmenschen, der eher dem entspricht, wofür man ihn zunächst halten soll. Und auch das wird seiner Figur nicht im Geringsten gerecht.)

Im Buch wird Akkarin zur Schlacht von Imardin bis zu einem gewissen Grad wieder akkarin. Er kann wieder aktiv gegen die Ichani kämpfen, kann seine magischen Reserven auffüllen und all das gipfelt schließlich in der Szene, in der er und Sonea in Lorlens Büro in ihre schwarzen Roben wechseln. Hätte er überlebt, so würde sich diese Entwicklung so weit fortsetzen, wie äußere Umstände es zulassen. Denn dass er wieder Hoher Lord wird und er damit wieder dort ist, wo er hingehört, ist zumindest so kurz nach der Schlacht reichlich unrealistisch.

Sicher kommt diese Verklärung (oder in manchen Fällen auch Verharschung) auch daher, dass Akkarin so emotionslos über seine Vergangenheit spricht, nur ist er eben auch jemand, der anderen nicht zeigt, wie es in ihm aussieht. In den Büchern wird immer wieder angedeutet, wie der prä-Sachaka-Akkarin war. Daraus kann man schließen, wie furchtbar diese fünf Jahre unter Dakova waren, wie sehr diese ihn geprägt und verändert haben. Das wird nicht wieder gut, bloß weil er sich verliebt. Nicht, wenn er zu jener Zeit noch immer posttraumatische Belastungsstörungen hat. Es mag seine Stimmung heben, mag langfristig zu einer positiven Veränderung beitragen, aber das geht nicht mal eben so in einigen wenigen Wochen, in denen er noch ganz anderen Herausforderungen gegenübersteht.

Und auch in diesem Punkt hat Canavan ein ungeheures Potential weggeworfen, indem sie Akkarin umgebracht hat. Denn hätte er überlebt, hätte sie zeigen können, dass der Alltag ganz anders aussieht und dass er wieder vermehrt zu dem Akkarin aus den Büchern wird. Einem etwas aufgetauteren und positiveren Akkarin, der hin und wieder Gefühle zeigt – aber ganz sicher keinem romantischen Süßholzraspler.

Zusammenfassung

Akkarin wirkt in Sachaka und während seiner dort beginnenden Beziehung mit Sonea schwächer als zuvor. Jedoch nicht auf Grund seiner Verliebtheit, sondern weil er auf brutale Weise zurück in seine Vergangenheit als Sklave geworfen wird. Seine Verliebtheit dient allenfalls dazu, diese Gefühle zu katalysieren und in etwas überschwänglich Positives zu verwandeln, wodurch er ungewohnt emotional wirkt.

Leider führt das dazu, dass er in vielen Fanfictions weichgespült wird, da Canavan seinen Zustand nur oberflächlich behandelt hat, wodurch der Eindruck entsteht, seine Liebe zu Sonea würde ihn von seiner Düsternis und seinen Erfahrungen unter Dakova schließlich ‚heilen‘.

Diese Annahme ist jedoch falsch, wenn nicht sogar ein unsensibler Umgang mit seiner Vergangenheit. Liebe kann das nicht heilen. Sie kann allenfalls Halt geben und das Augenmerk auf andere, schönere Dinge lenken. Doch die in Sachaka gemachten Erfahrungen so gravierend, dass sie ihn für den Rest seines Lebens begleiten werden.

(2) Kommentare

  1. flying mirror sagt:

    Ich vertrete die Meinung das Akkarin eine dieser Figuren ist bei denen die Autoren eine Vergangenheit geschaffen haben, mit der sie nicht umgehen können. Ich glaube das Canavan einem mysteriösen Charakter eine schreckliche Vergangenheit gegeben hat und dann nicht wusste wie sie das umsetzen soll als wir ihn besser kennenlernen. Weswegen Akkarin in Sachaka so viel offener und normaler erscheint als er sein sollte. Die Fanfiktionautoren wissen dann wiederum nicht was sie aus diesem Widerspruch machen sollen und ignorieren ihn ganz. (Und wohin es führt wenn die Leser verwirrt vom Charakter einer Figur sind, sieht man bei Harry Potter. Stichwort Überkompensation.)

    1. sagt:

      Vielen Dank für deinen Kommentar! Ja, das halte ich auch für sehr gut möglich. So als hätte sie irgendwann eine tragische Vergangenheit erfinden müssen, um zu begründen, warum er eben so geworden ist, wie wir ihn aus den Büchern kennen. Und als hätte sie das nicht ganz durchdacht (so wie sie andere Dinge auch nicht zu Ende durchdacht hat). Ich hatte sogar schon sehr früh den Eindruck, dass Akkarin ihr als Figur über den Kopf gewachsen ist, weil er immer komplexer wurde. So richtig Ärgerlich wird es spätestens dann, wenn man aus seiner Perspektive schreibt und dabei feststellt, dass es alles nicht so richtig passt.
      Und ja, ich denke auch, dass viele Fanfiction-Autoren mit diesem Widerspruch nicht umgehen können oder Akkarins Veränderung einfach so hinnehmen. Zumindest würde das zu dem passen, was ich bisher an Fanfictions gelesen habe.

      Liebe Grüße,
      Lady Sonea

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