Der Endkampf mit dem Endkampf: Der NaNoWriMo der bis Mitte Dezember dauerte

Ölgemälde einer historischen Schlacht

Anfang November hätte ich nicht gedacht, dass ich die Rohfassung von „Das Erbe 3“ dieses Jahr beenden werde. Nachdem ich mich im April in Yuri On Ice schockverliebt und darüber eine neue Obsession entwickelt habe, habe ich mich oft gefragt, ob ich mein Fanfiction-Epos jemals beenden werde. Ich dachte, wenn ich mich dazu zwinge, dann kann es nur schlecht werden. Und ich dachte, dass ich so langsam schreiben würde, dass ich ein ganzes Jahr brauche.

Und dann habe ich es in zehn Wochen geschafft.

Vom 4. Oktober bis zum 11. Dezember.

Der Oktober war eine Qual aus Versuchen, wieder in die Geschichte, die zu schreiben ich Ende April so jäh unterbrochen hatte, weil mich darauf zu fokussieren ein sinnloses Unterfangen war, einzufinden. Ich habe mich eingelesen und mühsam Punkte von meiner Todo-Liste in dem bereits geschriebenen Teil abgearbeitet.

Die letzten beiden Oktoberwochen hatte ich Urlaub. Das ließ mich hoffen, dass ich durch die zusätzliche Zeit wieder in die komplexen Zusammenhänge der Handlung zurückfinde. Die ersten zehn Tage verbrachte ich mit Plotten des noch zu schreibenden letzten Drittels, den Rest mit Schreiben. Es lief unfassbar zäh. Anfang der zweiten Woche wollte ich entscheiden, ob ich weitermache oder das Projekt wechsele und meine YOI Season 1.5 weiter plotte. Nur mit eisernem Willen und Plotdiskussionen mit meiner lieben Freundin Lady Alanna habe ich es in den November geschafft. Ich wollte dieses Projekt endlich beenden. Ich wollte nicht mehr an einem neuen Langzeitprojekt schreiben mit dem ständigen Gedanken im Hinterkopf, dass ich dieses Werk noch zu Ende bringen muss.

In der ersten Woche habe ich jedes Wort gehasst. Nur zwei Pairings, die zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte nicht einmal zusammen waren, hielten mich motiviert. In Wahrheit habe ich in sie projiziert, was ich mir vorübergehend verwehren musste, und ich glaube, das hat diesen Charakteren sogar gutgetan. Immerhin etwas.

Erst ab der zweiten Novemberwoche kam ich in der Geschichte an und von da an schrieb es sich wieder flüssiger.

Die Sache mit dem Hyperfokus

Nun könnte man meinen, dass ich mich nach einer kurzen Weile wieder eingelesen haben sollte. Oder dass ich mich anstelle, weil ich mich so schwer damit tue, wieder in die Geschichte reinzukommen. Doch da ist diese Eigenschaft namens Hyperfokus, die oft Fluch, aber hin und wieder Segen ist.

Hyperfokus ist ein sehr intensiver und langanhaltender Fokus auf ein Thema. Es ist eine Eigenschaft bestimmter Formen von Neurodivergenz. Wenn ich mich auf eine Sache hyperfokussiere, ist es als wäre ich in einem Tunnel und die Welt um mich herum rauscht an mir vorbei. Das kann passieren, wenn ich in meinem Brotjob mehrere Stunden ungestört programmiere. Das kann passieren, wenn eine Sache bei mir Angst auslöst und dann fokussiere ich auf diese Angst. Das kann mit einem negativen Erlebnis passieren. Oder positiven Gefühlen. Während eines Schreibcamps hyperfokussiere ich einen Monat so sehr und ausdauernd auf ein Projekt und manage nebenbei meinen Job und grundlegende Tätigkeiten des Erwachsenenlebens, dass ich danach für ein paar Wochen ausgebrannt bin. Doch am heftigsten erlebe ich Hyperfokus auf eine neue Obsession. Das ist als wäre ich schockverliebt. Der Fokus ist so stark, dass es mich so sehr vereinnahmt, dass ich gegensteuern muss, um meinen Alltag aufrechtzuerhalten und meinen Brotjob zu machen. Die Kombination Hyperfokus & Obsession hat dazu geführt, dass ich 12 Jahre lang an meinem Fanfiction-Epos geschrieben habe.

Kurz: Hyperfokus ist toll, kann aber nach hinten losgehen, wenn der Hyerfokus da ist, wo man ihn gerade nicht haben will.

Das war mein Problem Ende April. Ich habe es zugelassen, weil ich gespürt habe, dass sich bei mir gerade eine neue Obsession entwickelt. So etwas sollte man nicht aufhalten oder unterdrücken. Sie sind Teil meiner Neurodivergenz und gehören zu mir wie die Luft zum Atmen. Allerdings bedeutete das auch, dass ich meinen Fokus irgendwann von der neuen Obsession auf die alte zurückzwingen musste. Anders als bei meinem englischen Projekt, das entstand, als ich schon sehr lange an meinem Fanfiction-Epos geschrieben habe, war Yuri On Ice eine brandneue Obsession. Sich davon zu lösen und das nur für ein paar Wochen ist sehr viel schwerer, weil die Leidenschaft noch so heiß brennt. Meistens wird es nach ein paar Monaten besser. Deswegen habe ich so viele Wochen gekämpft, bevor ich endlich wieder so weit in der Welt der schwarzen Magier drin war, dass die Geschichte sich so runterschrieb.

Ein Monat zwischen Schreiben, Brotjob und Eiskunstlauf-Livestreams

Dieses Mal war der NaNoWriMo noch einmal fordernder als sonst. Ich bin es gewohnt, exzessives Schreiben und den Brotjob für einen Monat zu vereinen. Es ist normal, dass ich in dieser Phase für nichts Zeit habe, das nicht mit Schreiben, dem Brotjob, den nötigsten Haushaltarbeiten, der täglichen Beschäftigung mit meinen Katzen und meiner Sportroutine zu tun hat. Alles andere fällt hinten runter. Ich schaffe es nicht, einen Film zu schauen oder ein Buch zu lesen. Es ist kognitiv nur schwer nicht möglich und meistens driftet mein Geist dabei ab.

Dieses Mal habe ich ein komplettes Eiskunstlaufturnier geschaut, das von Ende Oktober an über sechs Wochenenden lief. Eiskunstlauf hat sich in diesem Jahr als eine Art Kreuzobsession zu Yuri On Ice manifestiert, die ich schon im Alter von zehn Jahren entwickelt hätte, wären die Umstände damals anders gewesen. Jedes Wochenende klebte ich also an zwei Tagen am Youtube-Livestream der ISU um meine Lieblingsathleten live zu sehen und um zu recherchieren. Die übrigen habe ich im Laufe der Woche beim Abendessen nachgeschaut. Das Abendessen fand wie schon in den letzten beiden Jahren oft sehr spät statt, wenn ich mein Tagespensum erledigt hatte. Nach dem Abendessen ist für gewöhnlich nicht mehr viel mit mir los.

Wie ich das alles geschafft habe, kann ich im Nachhinein nicht sagen. Der November ging wie in einem Rausch vorbei. Zwischendurch hatte ich Tage, an denen ich nicht mehr konnte und trotzdem weitergemacht habe. Ich wusste, wenn ich aufhöre und die letzten Kapitel irgendwann später schreibe, werde ich wieder viel Zeit investieren, um reinzukommen. Und ich wollte alternativ auch nicht die Überarbeitung mit dem Wissen angehen, dass ich noch zwei oder drei Kapitel schreiben muss.

Der November, der Mitte Dezember endete

Ende November hatte ich 211k neue Wörter an „Das Erbe 3“ geschrieben und noch zwei Kapitel, ein alternatives Ende und einen längeren Epilog zu schreiben. Normalerweise ist der Monatswechsel der Punkt, an dem meine Kreativität versiegt oder ich noch ein paar Tage in einem langsameren Tempo weiterschreibe, bis die Luft ganz raus ist. Dieses Mal musste ich weiterschreiben, bis ich fertig bin. Einer Alternative gab es für mich nicht. Natürlich ist es so, dass nach dem Schreibcamp das Schreibtempo abimmt. Wordsprints finden auf dem Twitter-Account des NaNoWriMos schließlich auch nicht mehr statt. Hätte das Schreibcamp länger gedauert, wäre ich vermutlich am zweiten Adventswochenende schon fertig geworden. So wurde es das dritten.

Normalerweise hole ich in den Tagen nach dem Schreibcamp alles nach, was über die vorherigen Wochen liegengeblieben ist. Darunter unzählige Mails meiner Testleserin, die zum Glück vorgewarnt war, Reviews zur „Königsmörderin“, andere Nachrichten und lästige Dinge des Erwachsenenlebens. Manches davon habe ich parallel erledigt, anderes habe ich tatsächlich auf danach verschoben. Aber dann, am 11. Dezember gegen Abend habe ich den finalen Satz des Epilogs von „Das Erbe 3“ geschrieben.

Endstand NaNoWriMo November 2021: Die Tabelle zeigt den täglichen Wordcount. Die freien Tage sind grün unterlegt. Daneben befinden sich zwei Diagramme. Das obere zeigt den Verlauf des gesamten Wordcounts im November; das untere Diagramm zeigt den Wordcount pro Tag. An freien Tagen habe ich im Schnitt doppelt so viel geschrieben (ca. 10k), wie an Werktagen (ca. 5k).
Endstand NaNoWriMo November 2021

12 Jahre, 2 Monate und 5,3 Millionen Wörter

Das ist grob überschlagen der Umfang meines Fanfiction-Epos. Und das ist nur die alternative Fortsetzung. Mit der Schwarze-Sonnen-Trilogie und den Kurzgeschichten komme ich auf ca. 6 Millionen Wörter in diesem Fandom. Das ist unfassbar viel und eine unfassbar lange Zeit. Fast ein Drittel meines Lebens habe ich in der Gilde verbracht und ich will es nicht missen. Ich habe mit den Charakteren gelebt, geliebt und gelitten. Und ich habe sie gequält. Ich habe Charaktere getötet, Pairings zerrissen, neue Charaktere erschaffen und Charaktere sich neu verlieben lassen. Ich habe das Worlbuilding erweitert und einen mehrdimensionalen Plot mit sechs bis neun Erzählcharakteren an unterschiedlichen Orten mit Storylines über sechs sehr lange Teile geschaffen. Es gab epische Schlachten, Politik, Intrigen, Coming of Age und vieles andere.

Jetzt, eine Woche später, habe ich immer noch nicht ganz begriffen, dass das letzte Wort geschrieben ist, und dieses Werk (abgesehen von der Überarbeitung von „Das Erbe 3“) damit vollendet ist. Ich weiß nicht, ob ich es jemals wirklich begreifen werde.

Gewiss werde ich auch in Zukunft größere Fantasy-Epen schreiben. Dann jedoch eher als Bücher.

Dieses Jahr hat mich verändert und damit auch meine Schreibe

Ich bin ziemlich sicher, dass man diesem letzten Drittel von „Das Erbe 3“ anmerkt, dass es in einem anderen Lebensabschnitt geschrieben wurde, als der Rest. Denn die letzten acht Monate haben genau das auch bei mir bewirkt. Ich hoffe, dass es mir in der Überarbeitung gelingen wird, diesen Teil an die ersten beiden Drittel anzugleichen. „Das Erbe 3“ hat Storylines, die von dieser Veränderung profitieren, während andere darunter leiden und nahezu lieblos geschrieben wirken, weil ich nur noch schwerlich Zugang zu den jeweiligen Charakteren und ihrer Welt gefunden habe.

Jetzt, wo ich die „ich will nur, dass es endlich vorbei ist“-Phase durch bin und das Schreiben mich ein Stück weit mit einem Universum versöhnt habe, dem ich im Frühling den Rücken gekehrt habe, kann ich guten Gewissens sagen, dass ich irgendwann wahrscheinlich wieder etwas in diesem Fandom schreiben werde. Ich habe noch immer zwei Ideen, die an unterschiedlichen Punkten in den Büchern ansetze, von denen sich die Geschichte anders entwickelt. Beide würden sich eignen, um die Rohfassung in einem Schreibcamp runterzuschreiben. Und da mein neues Projekt so anders ist, dass es sich sehr langsam schreibt, brauche ich etwas, damit ich auch in Zukunft im November eskalieren kann.

Die nächsten Monate werde ich jedoch wieder mit Yuri und Viktor verbringen und mit etwas Glück kann ich den ersten Teil dieses Langzeitprojekts ab Frühjahr/Sommer 2022 in einem englischsprachigen Fanfiction-Archiv hochladen.

Ich habe dieses Mal bewusst nichts zum Inhalt von „Das Erbe 3“ geschrieben, nicht einmal eine Andeutung. Es würde zu viel spoilern. Sicher kann ich jedoch – und das trotz aller Schwierigkeiten – sagen: Es wird episch.