Auszug aus Kapitel 4 – Der erste Tag

Durch die großen Fenster flutete das erste Licht eines neuen Tages. Im Wald sangen die Vögel eine vielstimmige Morgensinfonie. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der klare blaue Himmel verhieß einen strahlenden Spätsommertag.

Zuerst wusste Sonea nicht, wo sie war. Doch als sie ihre Müdigkeit abschüttelte, kehrten die Erinnerungen an den gestrigen Tag zurück. An das quälende Warten in Rothens Apartment auf das Ende der Gildenversammlung, die Anhörung in den Sieben Bögen, ihr Zorn – und an was danach geschehen war.

Und dann fiel ihr auch wieder ein, warum sie kein Nachthemd trug.

Akkarin lag hinter ihr, einen Arm fest um sie geschlungen. Irgendwann im Schlaf musste sie sich zur Seite gedreht haben. Anscheinend hatte er sich mit ihr gedreht. Ein Gefühl ungeahnter Wärme durchströmte sie. Von nun an würde sie jeden Morgen neben ihm aufwachen. Sie waren nicht mehr auf der Flucht und mussten sich verstecken.

Sie hatten nun ein Zuhause. Und sie hatten gerade ihre erste gemeinsame Nacht darin verbracht.

Es fühlte sich richtig und trotz der Ungewohntheit seltsam vertraut an.

Vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, löste Sonea sich aus seinen Armen und stand auf. Hoffend, er würde weiterschlafen, stopfte sie ihre Decke an die Stelle, wo sie gelegen hatte und legte seinen Arm darüber.

Bevor sie sich abwandte, küsste sie ihn behutsam auf die Stirn. Akkarin machte ein Geräusch, das verblüffende Ähnlichkeit mit dem Grunzen eines Gorin hatte. Ein Kichern unterdrückend überlegte sie, ob sie ihn bei Gelegenheit damit aufziehen sollte. Sie befand, so ernst, wie er die meiste Zeit über war, würde ihm das nicht schaden.

Zu ihren Füßen entdeckte Sonea die Überreste ihres Nachthemdes. Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sie sich daran erinnerte, wie es dazu gekommen war.

Nachdem Akkarin ihr am vergangenen Abend seine Gefühle offenbart hatte, war irgendetwas mit ihnen beiden durchgegangen, was vermutlich nur zum Teil daran gelegen hatte, dass das eine Mal, wo sie sich geliebt hatten, inzwischen Wochen zurücklag.

Alles hatte mit einem harmlosen Kuss begonnen. Dabei musste er irgendwie wieder ihre Gedanken gelesen haben. Denn sonst hätte er bei dem, was darauf folgte, eigentlich Bedenken haben müssen. Begriffen hatte Sonea all das jedoch erst viel später.

Als er begonnen hatte, sie auszuziehen war sein Blick auf ihr Nachthemd gefallen.

„Ich verbiete dir, so etwas in unserem Bett zu tragen“, hatte er in einem Anflug von Missbilligung gesagt und ihr Nachthemd entzwei gerissen, nachdem er sie daraus befreit hatte.

Sonea hatte ihn ungläubig und mit leisem Entsetzen angestarrt.

„Soll ich jetzt nackt schlafen?“

„Ich werde dir etwas … Angemesseneres besorgen“, hatte er mit offenkundiger Erheiterung erwidert. „Auch wenn die Alternative durchaus ihre Reize hätte.“

Ihren darauf folgenden Protest hatte er mit einem Kuss erstickt.

„Was hast du dagegen, wenn ich dieses Nachthemd trage?“, hatte sie zu wissen verlangt, nachdem er wieder von ihr abgelassen hatte. Seit sie der Gilde beigetreten war, schlief sie in diesen Dingern. Widerwillig musste sie zugeben, sich daran gewöhnt zu haben.

„Das ist etwas für Novizen.“

„Aber ich bin Novizin“, hatte sie ihn erinnert, während sie ungeduldig die Schärpe seiner Robe löste. Immerhin hatte er es so gewollt. „Deine Novizin.“

„Richtig“, hatte er gesagt und sie dabei abschätzend gemustert. „Vielleicht hätte ich anständig hinzufügen sollen. Du bist dagegen alles andere als das.“

„Das ist nicht wahr!“, hatte sie protestiert, woraufhin er lachend erwidert hatte: „Eine anständige Novizin wäre jetzt nicht damit beschäftigt, ihren Mentor auszuziehen.“

„Gut, dass du mir das jetzt sagst“, hatte sie mit leisem Sarkasmus erwidert und herausfordernd zu ihm aufgesehen. „Dann höre ich jetzt auf.“

„Nein.“ In Akkarins Stimme hatte eine ungeahnte Autorität gelegen, die ihr einen seltsam erregenden Schauer den Rücken hinabgejagt hatte. „Mach weiter.“

Ohne weiteren Protest hatte sie seine Robe abgestreift. Dabei hatte er sie keinen Moment aus den Augen gelassen. Anschließend hatte er sie zu sich gezogen.

„Ah, Sonea“, hatte er gesagt und mit einer Hand ihre Halsbeuge entlang gestrichen. Bei der Erinnerung daran schien jetzt noch jede Faser ihres Körpers zu vibrieren. „Dass du meine Novizin bist, hat einen entscheidenden Vorteil.“

„Der da wäre?“, hatte sie schwach gefragt.

Akkarin hatte seine Hand in ihren Nacken gelegt. Sein warmer Blick hatte seine folgenden Worte Lügen gestraft.

„Dass du mir gehorchen musst.“

Sonea erschauderte, als sie daran dachte, was er dann mit ihr getan hatte. Sie erinnerte sich, dass sie ihn dabei fast die ganze Zeit über gefürchtet hatte.

Und dass ihr das gefallen hatte.

Die vergangene Nacht war so anders gewesen, als was sie auf dem Felsen hinter dem Wasserfall getan hatten. Es erschien Sonea, als habe Akkarin herausfinden wollen, wie weit er bei ihr gehen konnte. Behutsam, aber bestimmt hatte er sie dazu gebracht, Dinge zu tun, die ihm offenkundig gefielen, ohne jedoch ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Möglicherweise hätte Sonea das verstört, hätte sie sich zugleich nicht so sicher und geborgen gefühlt. Die von ihr gefürchtete Gier war seinen Augen jedoch fern geblieben. Und am Ende war es besser gewesen, als alles was sie sich je hatte vorstellen können.

Ja, sie war unanständig gewesen. Und irgendwie war sie es noch immer.

Sonea unterdrückte das Verlangen, wieder zu ihm ins Bett zu steigen und es erneut zu tun. An diesem Morgen würde ihr Unterricht wieder beginnen. Es war besser, wenn sie sich jetzt darauf konzentrierte. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und verließ leise das Schlafzimmer.

Nachdem sie eine frische Robe aus ihrem Kleiderschrank geholt hatte, machte sie sich auf die Suche nach dem Bad. Sonea verkniff sich ein Grinsen. Noch vor wenigen Monaten hätte sie der Gedanke entsetzt, in dem Haus zu baden, das Akkarin bewohnte.

Die Quartiere der Novizen und Magier verfügten nur über eine Nasszelle. Für umfangreiche Körperpflege wurde das Badehaus benutzt. Die Residenzen hatten jedoch ihre eigenen Bäder, damit die in ihnen wohnenden betagten Magier nicht den weiten Weg zur Universität laufen mussten.

Das Bad lag jenseits des Treppenaufgangs. Der Flur führte zu einer Galerie mit einem aufwändig verzierten Geländer, von dem aus sie in die kleine Empfangshalle sehen konnte. Links davon lag ein weiterer Flur, auf dem die Bibliothek und das Arbeitszimmer liegen mussten.

Als Sonea die Tür zum Bad öffnete, sog sie überrascht die Luft ein. Es war sehr viel größer und prächtiger, als sie erwartet hatte. Für die Bewohner der Herrenhäuser im Inneren Ring mochte es nichts Außergewöhnliches sein, doch Sonea war hingerissen. Der geflieste Boden, die Wände und sogar die Badewanne, in der fünf ausgewachsene Menschen Platz gehabt hätten, waren aus Marmor. Die Armaturen waren aus Gold, ebenso wie die Fassung des Spiegels, der an einer Wand über einem Frisiertisch hing. Es gab eine Bank aus Nachtholz, auf der man seine Kleider ablegen konnte und ein Regal aus demselben Holz mit herrlich weichen Handtüchern.

Ich sollte mich bei Rothen bedanken, dachte sie in einem Anflug von Schuldbewusstsein, weil sie ihn am vergangenen Abend so angefahren hatte. Schließlich hatte er Anteil daran, dass sie und Akkarin hier wohnen konnten.

Das Wasser, das aus dem Hahn floss, als Sonea diesen aufdrehte, bereits warm. Es dauerte eine Weile, bis sich die Badewanne gefüllt hatte. Sonea ließ ihren Morgenmantel fallen und stieg in das herrlich warme Wasser. Sie tauchte für einen Moment unter, bis ihre Haare sich vollgesogen hatten, dann streckte sie sich aus und ließ sich auf der Oberfläche treiben.

Nachdem sie sich abgetrocknet und wieder angekleidet hatte, trat sie zu dem Frisiertisch am Spiegel. Die darauf befindlichen Utensilien betrachtend wählte sie eine mit Gold verzierte Bürste und kämmte sich die Knoten aus ihren Haaren. Dann trocknete sie ihre Haare mit ein wenig Magie und bürstete sie währenddessen, bis sie glatt waren und seidig glänzten. Dann musterte sie ihr Spiegelbild.

Ihre Haare waren lang geworden und fielen ihr bis über die Schultern. Wenn sie sie offen trug, würden sie ihr ständig ins Gesicht fallen. Früher hatte Sonea ihr Haar oft zu einem Zopf zusammengebunden. Jetzt würde das wahrscheinlich aussehen, als wolle sie Akkarin nacheifern. Das ging auf keinen Fall. Es würde die Gerüchte nur noch weiter anfachen. Allerdings war sie zu ungeschickt für die komplizierten Frisuren, die manche Novizinnen trugen und sie hatte keine Dienerin, die das für sie erledigt hätte.

Missmutig betrachtete Sonea die Haarspangen und Klammern in der Schatulle auf dem Frisiertisch. Musste sie sich wirklich um so etwas Gedanken machen? Stirnrunzelnd entschied sie sich schließlich für zwei kleine Silberkämme, mit denen sie ihre Haare an den Seiten feststeckte. Dann verließ sie das Badezimmer.

Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Ihre Strahlen fielen durch ein Fenster über dem Eingang und tauchten den Flur und die Empfangshalle in Gold.

Auf dem Weg zur Treppe begegnete Sonea einer vertrauten Gestalt in grauer Uniform. Takan, Akkarins Diener. Während ihrer und Akkarins Verbannung hatte er bei ihrem Freund Cery Unterschlupf gefunden. Akkarin musste ihn zurückgerufen haben, nachdem er dies bei den höheren Magiern durchgesetzt hatte.

„Guten Morgen, Lady Sonea“, grüßte Takan und verneigte sich.

„Guten Morgen, Takan“, erwiderte Sonea erfreut. „Willkommen zurück.“

Takan lächelte. „Vielen Dank, Mylady.“

„Wann bist du zurückgekommen?“

„Letzte Nacht.“

Hoffentlich haben wir da bereits geschlafen, dachte Sonea spürend, wie ihre Wangen heiß wurden. Was, wenn Akkarin mit seinem Diener über ihr Liebesleben sprach? Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussehen mochte, so verband die beiden Männer eine tiefe Freundschaft, seit sie beide Sklaven eines Ichani gewesen waren. Ohne Lorlen war Takan nun Akkarins einziger Freund und Vertrauter in der Gilde.

Abgesehen von mir. Aber das war anders. Sie waren einander so nahe gekommen, wie Sonea es sich niemals hätte träumen lassen. Bis vor kurzem hatte sie nicht einmal für möglich gehalten, dass man einem anderen Menschen so nahe sein konnte. Aber sie und Akkarin waren keine Freunde.

„Der Dieb lässt Euch grüßen und hat mir für Euch eine Dose Raka mitgegeben“, fuhr Takan fort. „Ich habe sie auf den Tisch im Speisezimmer gestellt.“

„Das ist wundervoll!“, rief Sonea, erfreut über den Themenwechsel und weil ihr Freund an sie gedacht hatte. „Danke Takan. Wie geht es Cery?“

„Es schien ihm gutzugehen. Aber ich fürchte, er sorgt sich sehr um sein Geschäft. Er sagte, er kommt Euch besuchen, sobald er wieder alles unter Kontrolle hat.“

Soneas Freund aus Kindertagen wäre nicht zu einem der mächtigsten Diebe aufgestiegen, hätte er Akkarin in den vergangenen Jahren nicht bei der Jagd nach sachakanischen Spionen unterstützt. Doch die Schlacht hatte alles verändert. Wahrscheinlich war Cery greade mit beschäftigt, seine Position unter den Dieben zu festigen.

„Der Meister erwartet Euch im Speisezimmer“, riss Takan sie aus ihren Gedanken. „Er wünscht, dass Ihr mit ihm frühstückt.“

Natürlich tut er das, fuhr es Sonea durch den Kopf. Sie hatte geplant, wie früher in die Speisehalle der Universität zu gehen. An die Möglichkeit, mit Akkarin zu frühstücken hatte sie nicht gedacht. Aber so würde sie ihn vor dem Abend noch einmal sehen.

„Und er hat mich angewiesen, einen Teil Eurer Garderobe in den Kleiderschrank in Eurem Schlafzimmer zu räumen“, fuhr Takan fort.

Sonea blinzelte verwirrt, bis ihr aufging, was er damit meinte. Sie und Akkarin waren jetzt ein Paar. Sie teilten ein Bett, warum sollten sie dann nicht auch ihre Kleidung im selben Schrank aufbewahren? Akkarin ließ keinen Zweifel daran, wie ernst es ihm mit ihrer Beziehung war.

Sie war zutiefst bewegt. „Danke, aber das brauchst du nicht. Ich werde das gleich heute Abend selbst tun.“

Takan lächelte wissend. „Wie Ihr wünscht, Mylady.“ Er wollte sich abwenden und hielt dann inne.

„Danke, dass Ihr meinem Meister das Leben gerettet habt.“

Seine Worte bewegten Sonea auf eine ungeahnte Weise. „Ich habe versprochen, auf ihn aufzupassen.“

„Und Ihr habt Euer Wort gehalten. Ich stehe in Eurer Schuld, Lady Sonea.“

„Es ist in Ordnung, Takan“, sagte sie. „Ich würde es wieder tun.“

„Ich weiß“, erwiderte er mit einem Lächeln, als wüsste er etwas, das sich ihrer Wahrnehmung entzog. Dann wandte er sich zum Schlafzimmer, wahrscheinlich zum Bettenmachen und um aufzuräumen. Sonea versuchte nicht darüber nachzudenken, was er wohl zu dem zerrissenen Nachthemd sagen würde. Der Gedanke trieb ihr erneut die Röte ins Gesicht.

Ein paar imaginäre Falten aus ihrer Robe streichend stieg Sonea die Treppe hinab. Sie ahnte, sie tat besser daran, sich an solche Dinge zu gewöhnen. Sie konnten Takan vertrauen. Es wäre schlimmer gewesen, hätte die Gilde Akkarin nicht erlaubt ihn zurückzuholen und ihm einen anderen Diener zugeteilt. Und was, wenn Akkarin eine Vorliebe dafür hatte, die Nachthemden der Frau in seinem Bett zu zerreißen?

Unten wandte Sonea sich zu der Tür, die in den hinteren Teil des Erdgeschosses führte, und trat in das großzügig geschnittene Speisezimmer, dessen Anblick ihr den Atem stocken ließ. Die Wände waren mit Gemälden ihr unbekannter Landschaften und Wandteppichen dekoriert. Wie in den Zimmern im oberen Stockwerk reichten die Fenster bis zum Boden, dahinter erhaschte Sonea einen Blick auf die Veranda und den verwilderten Garten. An der linken Wand, flankiert von den Geweihen zweier Jari befand sich ein Kamin umgeben von einer Gruppe bequemer Sessel. In der Mitte des Raumes erwartete sie ein üppig gedeckter Tisch, viel zu groß für zwei Personen. Die Möblierung war wie in den übrigen Zimmern, die sie bis jetzt von diesem Haus gesehen hatte, aus edlem Nachtholz, während die Sessel mit erlesenen Stoffen bezogen waren.

Das ist als würde ich in einem Palast leben, fuhr es ihr durch den Kopf.

Akkarin stand an einem Fenster und sah hinaus. Erfreut stellte Sonea fest, dass er mit dem Essen auf sie gewartet hatte. Als er ihre Schritte hörte, drehte er sich um und lächelte.

War er schon immer so attraktiv, oder bin ich von meinen Gefühlen beeinflusst?

„Guten Morgen, Sonea“, sagte Akkarin und durchquerte den Raum.

Sie verneigte sich leicht spöttisch. „Guten Morgen, Lord Akkarin.“

Akkarin runzelte die Stirn. „Anscheinend muss ich dir erst wieder beibringen, mich zu respektierten“, sagte er streng. „Aber ich fürchte, das muss bis heute Abend warten.“ Er hob sanft ihr Kinn und küsste sie.

„Von meinem Mentor hätte ich aber auch mehr Anstand erwartet“, gab Sonea zurück. Ganz besonders vergangene Nacht, fügte sie in Gedanken hinzu.

„So, findest du?“, murmelte er und küsste sie erneut. „Wenn du das schon unanständig nennst, dann kennst du mich noch nicht gut genug.“

Dann sollten wir das unbedingt nachholen, dachte Sonea und errötete unwillkürlich. Sie fragte sich, ob sie etwas dagegen unternehmen sollte, dass er ständig ihre Gedanken las, so wie er es gerade getan hatte. Andererseits barg es Vorteile, auf die sie nicht mehr verzichten wollte …

Akkarin wurde wieder ernst. „Wir sollten frühstücken.“

Sonea nickte, bemüht ihre Fassung zu bewahren. Was hatte er bloß an sich, was sie derart um ihren Verstand brachte?

Er nahm Platz. Sonea setzte sich ihm gegenüber und nahm ein paar Kuchen von einer silbernen Platte. Sie entdeckte die Dose mit dem Rakapulver und gab ein paar Löffel in ihre Tasse. Dann goss sie Wasser aus einem Krug nach und erwärmte das Gebräu mit Magie. Sofort stieg der intensive, würzige Geruch von heißem Raka in ihre Nase. Vorsichtig probierte sie einen Schluck.

„Der ist wirklich gut“, sagte sie anerkennend.

Akkarin rümpfte kaum merklich die Nase. „Ich verstehe nicht, was du an diesem Getränk findest“, bemerkte er. „Schon der Geruch ist … unerfreulich.“

Sonea lachte. „Und ich verstehe nicht, was du an Sumi findest. Er ist so bitter.“ Seit Jahren fragte sie sich, warum dieses Getränk unter Magiern so beliebt war. Sogar Rothen war an dem Versuch gescheitert, sie auf den Geschmack zu bringen.

„Nun, es hat eine anregende Wirkung, die besonders morgens willkommen ist.“ Akkarin hob seine Tasse. „Wenn du es zu bitter findest, steht es dir frei es zu süßen.“

„Lieber trinke ich aus dem Tarali“, gab sie zurück.

Sie leerte ihre Tasse und goss sich neuen Raka auf. Erheitert stellte sie fest, dass Akkarin dies betont ignorierte. Um sich nichts anmerken zu lassen, senkte sie den Kopf und betrachtete konzentriert das Essen auf ihrem Teller.

Die Tür öffnete sich. Takan trat ein und erkundigte sich, ob alles zu ihrer Zufriedenheit war.

„Danke Takan“, sagte Akkarin. Er blickte fragend zu Sonea.

Sie nickte nur und senkte den Blick erneut.

„Wie Ihr wünscht, Meister“, sagte Takan unterwürfig und entfernte sich.

Akkarin musterte sie aufmerksam. „Sonea, ist alles in Ordnung?“

Sonea unterdrückte ein Seufzen. Mit seiner neuen, unheimlichen Fähigkeit war es ohnehin sinnlos, es vor ihm verbergen zu suchen. „Es ist nur … vorhin hat Takan erwähnt, er sei letzte Nacht zurückgekommen“, begann sie spürend, wie sie ihre Wangen heiß wurden.

„Das ist richtig.“

„Wir … nun, wir waren nicht gerade leise.“

Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte Akkarin sich zurück. Er hob amüsiert die Augenbrauen. „Du meinst wohl, du warst nicht leise“, stellte er richtig.

Die Hitze auf ihren Wangen wurde unerträglich. „Nun ja. Das gestern Abend war ziemlich … unanständig.“

Ihre Tante Jonna ihr erklärt, was sich zwischen Mann und Frau im Bett abspielte, noch bevor Sonea zur Frau geworden war. „Es geht dabei nicht nur darum, Kinder zu machen. Meistens tut man es auch, weil es verdammt viel Spaß macht“, hatte sie Sonea in einem Anflug von Verlegenheit mitgeteilt, den sie damals nicht begriffen hatte. Sie hatte indes begriffen, dass Jonna und Ranel dabei auch Spaß hatten. Jonna hatte ihr schließlich verständlich gemacht, dass Sex ein Spiel für Erwachsene war und Sonea hatte es akzeptiert und vergessen – bis zu Akkarin.

Jonna hatte Sonea alles erklärt, was sie wissen musste, um eines Tages Kinder zu zeugen. Die Regeln dieses Spiels hatte sie dabei jedoch unerwähnt gelassen. Sonea beschlich die leise Ahnung, dass Akkarin das Spiel nach seinen eigenen Regeln spielte. Einiges von dem, was er von ihr verlangt hatte, hätte Sonea entsetzt, wäre das Verlangen in ihr nicht so übermächtig gewesen. Sie wusste nicht, ob es unanständig war, weil es ihr gefallen hatte oder ob es ihr gefallen hatte, weil sie in ihrem Herzen zutiefst unanständig war. Sie war angetan gewesen, als sie herausgefunden hatte, dass er selbst im Bett Autorität ausstrahlte. Im Nachhinein fand sie, sie hatte nichts anderes von ihm erwartet. Tatsächlich wäre sie andernfalls sogar enttäuscht gewesen.

Zudem war sie sicher, Akkarin hatte am vergangenen Abend schamlos von seiner neuen Fähigkeit Gebrauch gemacht. Woher sonst hatte er so genau gewusst, was er von ihr einfordern und wie weit er sie treiben konnte? Und sie sonst hätte er herausfinden können, was ihr gefiel, wenn sie selbst gerade dabei gewesen war, das herauszufinden? Vieles hätte sie sich nicht einmal zu äußern gewagt, weil sie ziemlich sicher gewesen war, dass es zum ’Spiel’ gehörte. Sie war sicher, das laut auszusprechen, hätte sie wünschen lassen, auf der Stelle im Erdboden versinken lassen.

„Sonea, da war nichts Unanständiges“, sagte Akkarin sanft. „Du kannst so laut sein, wie du willst. Ich habe unser Schlafzimmer mit einem Schutz belegt, der eine Weile halten wird.“

Sonea starrte ihn an. „Soll das heißen, du hast das von gestern Nacht noch öfter mit mir vor?“

Akkarin nahm einen Schluck Sumi und musterte sie durchdringend. „Selbstverständlich“, antwortete er ruhig. „Tu nicht so entsetzt. Ich weiß, dass es dir gefallen hat.“

Hat er schon wieder meine Gedanken gelesen? Doch wahrscheinlich war das gar nicht nötig gewesen, um das zu erfahren. Trotzdem entschied Sonea, sich beim nächsten Mal mehr zu beherrschen. Diese Blöße wollte sie sich nicht vor ihm geben.

„Ich irre mich doch nicht, oder?“

Alarmiert hob sie den Kopf und begegnete seinem durchdringenden Blick mit aller Entschlossenheit, die sie aufbringen konnte. Sie wollte ihm nicht den Triumph gönnen, sie in die Ecke gedrängt zu haben. Sie wollte weder lügen, noch sich hier und jetzt vor ihm erniedrigen, indem sie es zugab.

„Darauf werde ich nicht antworten“, erklärte sie entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust.

Akkarin lachte leise. „Das ist auch nicht nötig.“

Sonea öffnete protestierend den Mund. Musste er sie so in Verlegenheit bringen?

„Ich werde das Haus mit einem magischen Schild belegen, der mögliche Beobachter nur das sehen und hören lässt, was sie sehen und hören sollen“, fuhr er dann fort. „Ein Schutz, der nur verhindert, dass man draußen hört, wenn du in gewissen Situationen laut wirst, wird nicht ausreichend sein, damit wir ungestört sein können. Die höheren Magier verdächtigen uns bereits, eine intime Beziehung zu haben. Wir sollten sie nicht noch darin bestärken.“

Sie starrte ihn an, zu verlegen, um eine bissige Erwiderung zu finden. Dennoch war sie dankbar, weil er an derartige Vorkehrungen dachte. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die Gilde von ihrer Beziehung erfuhr! Ganz besonders von gewissen Details …

„Und wozu soll dann ein Teil meiner Roben in deinen … unseren Kleiderschrank?“, verlangte sie zu wissen. Die höheren Magier brauchten nur ihr Schlafzimmer zu durchsuchen, um Beweise für ihre Beziehung zu finden.

„Ah, unser Schrank wird für sie verschlossen sein.“

Sonea runzelte die Stirn. Ihr war nicht klar, was er damit bezwecken wollte, aber sie hatte auch keine Lust, das Thema zu vertiefen. Sie entschied, dass sie es nicht wissen brauchte, was er sonst noch in ihrem Kleiderschrank aufbewahren wollte. Manchmal war es besser, unwissend zu sein und sie begann zu begreifen, warum er es vorzog, nur das Nötigste preiszugeben.

„Ich werde dich gleich zu Rektor Jerrik begleiten“, wechselte er dann das Thema. „Ich will einen Blick auf den Stundenplan werfen, den er für dich erstellt hat.“

Sonea atmete leise auf. Zumindest für jetzt schien diese Angelegenheit aufgeschoben. Sie ahnte jedoch, Akkarin würde darauf zurückkommen, noch ehe dieser Tag zu Ende war. Und dann würde er darauf bestehen, dass sie es zugab. Bei der Vorstellung lief ein angenehmer Schauer ihren Rücken herab. Sie trank einen Schluck Raka und schob ihre unanständigen Gedanken beiseite.

„Traust du ihm nicht zu, dass er seine Arbeit ordentlich erledigt?“, ließ sie sich auf die Wendung ihres Gesprächs ein.

„Ich will sichergehen, dass er dir fähige Lehrer zuteilt.“

Sonea nickte und freute sich, weil er sie zur Universität begleiten würde. Sie war nicht sicher, was sie dort an ihrem ersten Tag erwarten würde. An seiner Seite würde sie sich zumindest bis zur ersten Stunde sicher fühlen.

Es ist albern, so zu empfinden, dachte sie. Ich bin eine schwarze Magierin. Die Gilde fürchte mich mehr als ich sie. Und doch hing ihr Schicksal vom Willen der Gilde und ihres Königs ab.

„Wie ist das Frühstück?“, riss Akkarin sie aus seinen Gedanken.

„Gut“, antwortete sie verwirrt.

„Gefällt es dir?“

Sie nickte.

Akkarin musterte sie einen Augenblick. „Von heute an werden wir jeden Morgen gemeinsam frühstücken.“

Sonea strahlte. „Das wäre schön.“

„Dasselbe wünsche ich bezüglich des Abendessens.“

„Darauf hatte ich gehofft.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über Akkarins harsche Züge und ihr Herz machte einen Sprung.

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Neugierig geworden? Wie es mit Sonea und Akkarin weitergeht, ob es ihnen gelingt, ihre Beziehung geheimzuhalten oder ob ihre Unbeschwertheit sich bald in Schall und Rauch auflöst, könnt ihr wie vieles mehr hier lesen.

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