Behind the Scenes (4)

Die Wahrheit über Forschung

 

Warnung: Dieser Text könnte Spoiler für die späteren Kapitel von Der Spion enthalten.

Forschung ist weder die meiste Zeit über aufregend und spannend, noch ist sie romantisch. Sie geprägt von langen Phasen des Planens, des Aufstellen und Austesten von Theorien, Rückschlägen und Irrwegen. Und sie ist schlecht bezahlt. Ich kann euch davon ein Lied singen, denn ich habe vier Jahre lang meine Seele an eine Universität verkauft, weil ich wissen wollte, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält.

Es war desillusionierend. Die einzige Romantik dabei waren meine beiden Chile-Trips (von dort stammt auch das Cover-Bild), aber nicht, weil mein damaliger Kollege und ich jede Nacht im Kontrollzentrum unseres Observatoriums saßen und digitale Bilder von Sternen aufgenommen haben, sondern weil die Atacama-Wüste für mich einer der schönsten Orte auf Erden ist. Bei Tag enthüllen die verschiedenen Schattierungen von Braun und Rot auf den Berghängen eine einzigartige Schönheit, während bei Nacht der Himmel mit Sternen übersät und es so dunkel ist, dass man sogar die beiden Magellanschen Wolken (das sind zwei Zwerggalaxien, die wie die Milchstraße zur Lokalen Gruppe gehören) mit bloßem Auge erkennen kann.

Aber das war auch alles, was in diesen vier Jahren romantisch war. Neben der eigentlichen Forschung muss ein Wissenschaftler seine Arbeit ordentlich dokumentieren, damit er selbst und andere später die einzelnen Schritte nachvollziehen können. Am Ende wird die Arbeit veröffentlicht, damit die Welt der Wissenschaft davon erfährt. Dabei herrscht nicht selten ein Konkurrenzdruck, wenn mehrere Arbeitsgruppen unabhängig voneinander an demselben Thema forschen. Darüber hinaus ist Forschung eine Menge Self-Marketing. Die Gelder sind meist knapp bemessen und so muss man ständig Anträge an diverse Forschungsgesellschaften schreiben, damit sich eine erbarmt und einem Geld für ein oder zwei Jahre zuschießt. Gut bezahlt wird die Arbeit übrigens nicht. In der freien Wirtschaft verdient man als Berufseinsteiger locker das Doppelte und in nur wenigen Jahren das Drei- bis Vierfache.

Mit der romantisierten Vorstellung vom kauzigen Wissenschaftler, der in seinem Labor eine geniale Entdeckung nach der anderen macht, hat das alles nur wenig zu tun. Oder kurz gesagt: Forschung ist zu 90% frustrierend und langweilig.

Natürlich kann man das nicht pauschalisieren. Es kommt auch ein wenig darauf an, woran man forscht. Wenn man nach drei Jahren feststellt, dass die Daten, die man hat, totaler Mist sind, hat man die Arschkarte. Entdeckt man ein neues Teilchen, eine neue Galaxie oder findet Hinweise, dass es Dunkle Materie gar nicht wirklich existiert, sondern das uns bekannte Gravitationsgesetz nur eine Näherung für kleine Skalen ist, und löst damit einen Religionskrieg unter den Kosmologen aus, hat man den Jackpot gewonnen. Aber auch diese Menschen haben Jahre gebraucht, um zu diesem Ziel zu gelangen. Jahre, in denen sie sich die Finanzierung ihrer Forschung erkämpft und frustrierende Rückschläge erlitten haben.

So, nachdem ich euch ausgiebig mit der Realität gelangweilt habe und ihr vielleicht eine Vorstellung davon bekommen habt, wie das Leben eines Wissenschaftlers aussieht, wenden wir uns wieder der Fiktion zu.

In meiner Geschichte wird ebenfalls geforscht. Die Magier bereiten sich auf einen Krieg vor und sehen sich zugleich einem Problem gegenüber, mit dem sie in dieser Form noch nie zuvor konfrontiert sahen: Wie besiege ich eine Armee schwarzer Magier?

Dass die Magier sich diese Frage nie zuvor stellen mussten, ist zugleich auch das Problem. Es kommt für die Gilde nicht in Frage, weitere schwarze Magier auszubilden, weil sie zu sehr fürchtet, nach dem Sieg über die Sachakaner gegen den Feind in den eigenen Reihen zu kämpfen. Also müssen andere Waffen her. Wie zum Beispiel Speichersteine und alchemistische Substanzen, die einen Schild zerstören oder zumindest herabsenken können.

Obwohl Rothens mit den ersten Tests seiner Schildsenker bereits gute erste Ergebnisse erzielt, sind diese noch weit von Perfektion entfernt. Jedoch wäre es ein wenig sinnfrei, würde ich Rothen seine Phiolen an diesem Punkt noch weiter verbessern lassen. Nicht, bevor die Phiolen in einem großen Feldversuch eingesetzt wurden: dem Kampf gegen die feindliche Armee. Denn auch wenn Rothens beide Probanden versucht haben, einen möglichst realistisch starken Schild zu erzeugen, könnten die Sachakaner völlig anders reagieren. Natürlich vorausgesetzt, die Gilde überlebt den Krieg.

Die optischen Effekte, wenn die Phiolen auf den Schild treffen, sind übrigens nichts als ein netter Nebeneffekt, der im Idealfall eine psychologische Wirkung hat. Die eigentliche Wirkung ist magisch und nicht sichtbar, dafür für den Gegner aber umso spürbarer.

Während Lord Rothens Projekt zumindest eine alchemistische Ausgangsbasis hat, von der aus der forschen kann, tappen Akkarin und Sonea mit ihrer synthetischen Herstellung von Speichersteinen völlig im Dunkeln. Bis zu Lord Sadakanes Büchern wissen sie nicht einmal, dass eine solche Anleitung existiert. Sie haben nur spärliche Hinweise in zahlreichen Büchern, die jedoch so gut wie nichts über die Natur dieser Steine preisgeben. Sie müssen zuerst alle Informationen zusammentragen, bevor sie überhaupt Theorien aufstellen und testen können. Das ist mit Rückschlägen verbunden und dementsprechend treten sie oft auf der Stelle und sind frustriert.

Auch auf die Gefahr hin, meine Leser zu langweilen, indem ich über ihre Rückschläge berichte und sie auf der Stelle treten lasse, will ich diesen Prozess weder beschönigen noch einfacher darstellen, als er wirklich ist. Nicht nur, weil es realistisch ist, sondern auch weil ich darin ein Stilmittel sehe, um die Charaktere zwischen Hoffen und Bangen zu halten.

Und damit ist die Forschung auch in meiner Geschichte alles andere als straightforward. Natürlich wäre es schöner, würden meine Helden sofort den perfekten Speicherstein erschaffen und den Sachakanern damit den Garaus machen. Und es wäre schön, würden Rothens Schildsenker auf Anhieb supereffektiv sein. Aber das wäre reichlich sueig[*].

Es wäre schöner, wäre beides so einfach. Aber so funktioniert Forschung nun einmal nicht und es wäre reichlich unrealistisch, das so zu schreiben. So leicht will ich es meinen Helden auch gar nicht machen.

Und seien wir einmal ehrlich: Wir wollen es doch gar nicht einfach, nicht wahr?

Im nächsten Teil: Gildenmagier – Gedrillte Elitesoldaten oder nur ein Haufen verwöhnter Adeliger?

[*] sueig, Adjektiv. Abgeleitet von Mary Sue.