Es gab eine Zeit, in der ich vor Kreativität nicht zu stoppen war. Eine Zeit, in der ich vom Aufwachen bis zum Einschlafen in fiktiven Welten weilte und dennoch ein mehr oder weniger normales Leben führen konnte. Damals hatte ich jedoch weniger Verantwortung zu tragen und damit war das Leben weniger anstrengend und ich hatte mehr geistige Kapazitäten für meine Interessen übrig. Dann kam mir das Leben dazwischen und ich musste Wege finden, mir meine Zeit und Kreativität zurückzuerobern.
Die ersten Jahre
Im Herbst 2009 fing ich an, meine eigene Fortsetzung zu The Black Magician Trilogy zu schreiben. Damals hatte ich gerade meine Promotion in Astrophysik begonnen und fuhr jeden Tag insgesamt zweieinhalb Stunden mit dem Fahrrad, weil die Universität in der Nachbarstadt war. Bei jedem Wetter. Auf diesen Fahrten konnte ich meine Gedanken schweifen lassen, und wenn ich in meinem Büro ankam, schrieb ich als Erstes die Szenen auf, die mir unterwegs durch den Kopf gegangen waren. Ich hatte ein Zweierbüro, war aber die meiste Zeit alleine und wurde nur selten gestört. Wenn ich mich über etwas aufgeregt habe, hatte ich 25 km Heimfahrt, um meinen Ärger loszuwerden. Damals habe ich nur selten abends geschrieben. Schreibzeit war in den Mittagspausen, am Wochenende und im Urlaub. Dann aber auch hochkonzentriert und ich habe stundenlang nichts anderes gemacht und das tat richtig gut.
In den drei Jahren meiner Promotion schrieb ich auf diese Weise die ersten anderthalb Bände von „Die Bürde der schwarzen Magier“.
Der Wechsel ins Arbeitsleben
2012 schloss ich meine Promotion ab und unternahm einen Quereinstieg in die Softwareentwicklung, weil ich herausgefunden hatte, dass programmieren mir mehr Spaß macht als Forschung und mich die Tatsache störte, dass es dort nur befristete Stellen gab.
Mit dem Arbeitsleben wurde alles anders. Plötzlich dauerte mein Weg zur Arbeit nur noch 15 Minuten, was einerseits praktisch war, doch der Rückweg reichte nicht mehr aus, um mein Hirn zu leeren. Die Folge war, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich aufs Schreiben zu konzentrieren. Wenn ich abends nach Hause kam, hielt ich meinen damaligen Partner Vorträge über meine Erlebnisse und meine Programmierprobleme. Zwar kannte er dieses Infodumping von mir schon über Physikthemen, doch wir beide wussten nicht, dass ich dieses Ventil brauchte, weil jeder Tag so überwältigend war.
Ich habe mehr als ein halbes Jahr gebraucht, um mit der Umstellung von Uni auf Büroalltag zurechtzukommen. Irgendwann fing ich wieder an, in den Mittagspausen zu schreiben und ging seltener mit meinem Kollegen Mittagessen, zumal ich mittags ohnehin nicht gerne warm und üppig esse. Man ist danach so träge und der Essensgeruch haftet überall. Dies führte zu einem neuen Problem. Kollegen, die zu anderen Zeiten Pause machten, platzten in mein Büro und rissen mich aus dem Schreibmodus, weil sie dachten, sie könnten mich ansprechen, weil ich ja anscheinend arbeite. Irgendwann habe ich mir ein Schild „Mittagspause“ gebastelt und nach einer Weile wurde das respektiert. Allerdings genügte es, wenn jemand in mein Büro rauschte, auf das Schild blickte und erklärte, später wiederzukommen, um meinen Fokus empfindlich zu stören. Da ich inzwischen schon länger dabei war, kam es auch immer häufiger vor, dass ich während der Arbeit gestört wurde – sei es mit Fragen, Smalltalk oder Kundensupport, der am besten gestern erledigt wird. Zwischendurch saß ich über ein Jahr mit einem Kollegen zusammen, der eine unglaublich laute, dröhnende Stimme hatte und ständig das unangenehme künstliche Licht brauchte. Damals kam ich erstmals auf die Idee, dass ich hochsensibel sein könnte und mir die Reizüberflutung im Büro nicht guttut.
Diese ersten Jahre im Brotjob trugen dazu bei, dass ich an der Rohfassung von „Yukai“ ganze zweieinhalb Jahre gearbeitet habe, während „Der Spion“ und „Die zwei Könige“ nur jeweils eindreiviertel Jahr brauchten. Natürlich ist Yukai auch 20% länger und komplexer, doch ich spürte damals deutlich, dass es nicht immer leicht war, sich in dieses Projekt zu vertiefen, weil das Reallife mit präokkupierte.
Doch der Büroalltag hatte auch gute Seiten. Ich steckte brachte mehrere Kollegen und meine Chefin dazu, die Black Magician Trilogy zu lesen, und mein damaliger Lieblingskollege machte mir Mut, den ersten Teil meiner alternativen Fortsetzung ins Internet zu stellen. Das war im Sommer 2013.
Schreibcamps und das Dirigieren verschiedener Schreibprojekte
2014 entdeckte ich den NaNoWriMo für mich. Das Juli-Camp war die perfekte Gelegenheit, um die Rohfassung von „Unter tausend schwarzen Sonnen“ zu schreiben – eine Idee, die mich seit dem Umzug im Frühjahr in eine größere Wohnung umtrieb. Teil 2 und 3 folgten in den darauffolgenden Sommern. Die Schreibcamps trugen viel dazu bei, dass ich die verschiedenen Projekte meines größer werdenden Fanfiction-Universums besser managen konnte, als auch dass ich mich für einen Monat mit Hyperfokus, Schlafmangel und dem vollständigen Einstellen jeglicher sozialen Kontakte vollständig auf ein Projekt konzentrieren konnte. Auf diese Weise bekam ich schließlich auch mit „Yukai“ die Kurve.
Die Anforderungen des Erwachsenenlebens waren zu jenem Zeitpunkt gestiegen, doch dank der Schreibcamps und der damit verbundenen Zeiteinteilung zwischen verschiedenen Projekten und Schreiben vs. Überarbeiten, konnte ich meine Kreativität weiterhin ausleben. Ich gewöhnte mir an, weniger zu schlafen, um mehr Zeit zum Schreiben zu haben und für ein paar Jahre funktionierte das verdammt gut. In dieser Zeit schrieb ich „Die Königsmörderin“, beendete die Schwarze-Sonnen-Trilogie und begann mein englischsprachiges Projekt.
Kreativitätskiller und zunehmende Überforderung im Alltag
Je länger ich in meinem Bürojob war, desto mehr hatte ich mit den Störungen durch Kollegen und Chefs zu kämpfen. Es spielt keine Rolle, ob diese während der Arbeit oder meiner mittäglichen Schreibzeit passierten. Es fühlt sich jedes Mal an, als würde jemand mit einer Axt durch mein Gehirn gehen und all die Neuronen abhacken, die gerade mit einer Sache beschäftigt sind. Dementsprechend reagiere ich gereizt, was mir diverse Diskussionen mit meiner Chefin eingebracht. Der Stress, den solche Unterbrechungen auslösen, ist immens und reduziert mein Energiebudget nachhaltig. Leider auf Kosten der Kreativität.
Mit der Zeit internalisierte ich meinen Unmut, doch mein Hirn ist die ganze Zeit in Alarmbereitschaft und meine Konzentration häufig überall und nirgendwo. Für mich war es daher eine Wohltat, als wir letztes Jahr im März ins Home Office geschickt wurden und dort noch immer sind. Hier werde ich zwar auch gestört, aber es ist seltener. Dafür sind meine Gedanken oft mit Pandemien, Klimawandel und Politik präokkupiert.
Außerdem kamen in den vergangenen Jahren auch andere Dinge hinzu, die zum Erwachsenenleben dazugehören und die eingeplant werden müssen und meinen Tagesablauf durcheinanderbringen. Ich träume oft davon, so viel Geld zu verdienen, dass ich jemanden einstellen kann, der diese Dinge für mich erledigt.
2018 führte das in eine Mental Health Krise, die mich in meiner Kreativität komplett ausgebremst hat. An meinen Schreibprojekten habe ich zwar weiterhin gearbeitet, doch mir fehlte die Energie, um mich lange und intensiv in diese hineinzuversetzen. Kreativität wurde immer häufiger durch stringente Planung abgelöst. Phasen, in denen ich vor Ideen nur so sprühte, wurden seltener und einige Schreibcamps habe ich fast nur mit eisernem Willen bestritten. Auch bemerkte ich, dass das Schlafdefizit der vergangenen Jahre mich an meine Grenzen gebracht hatte.
Write-Life-Balance
2019 hatte ich mich weitgehend erholt. Ich fand heraus, dass ich neurodivergent bin, was so ziemlich alles erklärte, was mich als Mensch ausmacht, und dazu führte, dass ich meinen Lebensstil anpasste und behutsamer mit mir umging. Ich machte einen schon länger gehegten Traum wahr und reduzierte meine Stelle auf 80% aka 4-Tage-Woche. Die dadurch gewonnene Ruhe und Lebenszeit wiegen das etwas geringere Gehalt mehr als auf. Ich lege alle Termine und einen Großteil der nicht täglich anfallenden Haushaltstätigkeiten auf die vier Werktage. Mein dreitägiges Wochenende ist ein heiliger Tempel für meine Schreibprojekte.
Ich beendete die Rohfassung von „Das Erbe 2“ und stürzte mich in die Planung von „Das Erbe 3“ und schrieb zwei Schreibcamps daran wie besessen. Mit einem Mal war die Magie wieder da. Wenn auch nicht wieder in vollem Maße.
Denn beruflich gab es auch einige unschöne Umstellungen. Mein Arbeitgeber zog in ein Gebäude, das für mich sensorisch höchst unangenehm ist. Nach ein paar Monaten wurde eine dritte Person in das Büro, das ich mit meinem Lieblingskollegen teile, gesetzt. Ich war dauergestresst und niemand nahm meine Schwierigkeiten ernst. Dass mein Arbeitsweg mich nun quer durch eine fahrradunfreundliche Großstadt führte, machte es nicht besser.
Die Vorgänge in meinem Brotjob kann ich nicht beeinflussen, doch ich kann dafür sorgen, dass mein übriges Leben so geregelt und stressfrei ist, dass ich mich besser dem Schreiben widmen kann.
Ich lebe nach einem Zeitplan, der so optimiert ist, dass ich möglichst viel Zeit für meine Schreibprojekte habe. Letztendlich hatte ich auch schon früher eine recht detaillierte Zeiteinteilung, doch je unruhiger mein Leben sich anfühlte, desto überlebenswichtiger wurde diese.
Auch sonst ist mein Leben jenseits des Brotjobs ruhig. Ich lebe mit meinem Katzen Marika und Isara in einer großen, hellen und ruhiggelegenen Wohnung mit Balkon und Schreibzimmer. Die meisten meiner sozialen Kontakte pflege ich online, hin und wieder verabrede ich mich mit einer Freundin. Und das reicht mir, denn auch solche Begegnungen müssen inklusive des sozialen Katers eingeplant werden. Am Wochenende und Urlaub tauche ich ganz in meine Schreibprojekte ein und halte mir diese Zeit frei. Momentan ist es eher das Weltgeschehen, das meine Kreativität bremst und meine Gedanken präokkupiert, aber ich habe herausgefunden, dass es hilft, wenn ich möglichst wenig (Soziale) Medien konsumiere. Ich lerne wieder, mich in meinen freien Zeiten in meine Schreibprojekte einzuigeln und habe Selfcare einen hohen Stellenwert eingeräumt, den ich nicht mehr aushebele, um vor dem Schlafengehen noch diese Szene oder jenes Kapitel zu beenden oder auf dem Filmabend zu verzichten. Und ich kann spüren, wie mich das meinem alten Zustand näherbringt.
Sofern mir nicht irgendwo noch mein persönlicher Akkarin begegnet, werde ich wahrscheinlich als wunderliche, exzentrische Katzenlady enden, die mit etwas Glück irgendwann aus dem Schreiben ein zweites finanzielles Standbein macht. Und damit kann ich sehr gut leben.
Liebe Lady Sonea,
Vielen Dank für diese Einblicke in dein Leben und deine Art zu schreiben. Ich fand es sehr interessant und habe viel Neues über dich erfahren. Das war auch verbunden damit, dass ich das Gefühl habe, deine Geschichten noch besser zu verstehen – und sie in jedem Fall noch mehr wertschätze.
Liebe Grüße
Nika
Hallo liebe Nika,
Vielen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich, dass dieser Einblick in mein Leben dir ein besseres Verständnis meiner Geschichten bietet. Inzwischen fällt mir selbst immer mehr auf, wie sehr bestimmte Elemente unbewusst in meine Geschichten einfließen, und das finde ich sehr spannend.
Liebe Grüße,
Lady Sonea