Über Herzensprojekte und das Gefühl nicht genug zu sein

Grau-weiße Katze liegt auf einem weißen Schaffell. Die Pfötchen sind ineinander verschränkt, die augen sind geschlossen.

In wenigen Wochen wird meine neue Fanfiction fertig sein. Monatelang habe ich mir für dieses Werk das Herz aus dem Leib geschrieben. Es bedeutet mir so viel. Ich konnte es nicht erwarten, diese Geschichte mit anderen zu teilen. Ich habe diesem Moment entgegengefiebert und ihn zugleich gefürchtet.

Denn ich weiß nicht, ob ich es noch einmal kann.

Also ein neues Projekt in einem neuen Fandom zu veröffentlichen. Überhaupt ein neues Projekt zu veröffentlichen. Aber ganz besonders in einem neuen Fandom.

Das neue Fandom ist riesig. Als ich zuletzt nachgesehen habe, gab es dort mehr als 40.000 Werke. Das Fandom wird von AU-Geschichten dominiert. Diese Geschichten bekommen bis zu dreißig Reviews pro neuem Kapitel. Für jemanden, der canontreu schreibt und zu besten Zeiten auf vier bis fünf Reviews pro Kapitel kam und mittlerweile froh ist, wenn überhaupt noch eines kommt, ist das sehr entmutigend.

Mir fehlen die Kraft und das Selbstbewusstsein, Desinteresse und ausbleibendes Feedback dauerhaft auszuhalten. Seit ich Fanfictions veröffentliche, kämpfe ich mich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen durch diese Phasen. Ich hatte gehofft, dass ich lerne besser damit umzugehen, dass ich mich daran gewöhne, dass es mir egal wird, aber das ist nicht passiert. Ich sehe, wie jeder neue Teil meiner Geschichten weniger Leser anzieht. Ich sehe es an den zurückgehenden Klickzahlen, an den geringeren Favoriten im Vergleich zu früheren Teilen, an den ausbleibenden Reviews. Mein aktuelles Fandom ist so klein, dass meine Geschichten herausstechen, dass ich bemerkt werde. In einem riesigen Fandom, in dem überdies andere Arten von Geschichten weitaus beliebter sind, werde ich nahezu unsichtbar sein. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Jahren frage ich mich, ob ich überhaupt fürs Schreiben gemacht bin.

Diese Situation ist zu einem nicht insignifikanten Anteil meine Schuld. Mit Kritik kann ich auch nach neun Jahren auf Fanfiktionde nicht gut umgehen und die Konfrontation mit dieser sorgt dafür, dass ich sie noch mehr fürchte. Wer offen über Ängste und mangelndes Selbstwertgefühl spricht, stößt andere ab. Ängste und mangelndes Selbstwertgefühl werden als Schwäche wahrgenommen. Sie stellen eine Barriere dar, die mir immer wieder Steine in den Weg legt und mich daran hindert, meine Geschichten unbeschwert mit der Welt zu teilen. Sie rauben mir den Mut und führen dazu, dass ich immer zögerlicher damit werde, etwas so Intimes wie eine Geschichte – geschweige denn Auszüge aus dieser – zu teilen. Offen damit umzugehen erzeugt Druck und Abscheu bei den Lesern. Niemand will die Geschichten einer Person lesen, die immerzu über ihre Autorenprobleme jammert und ihre Gefühle so gut im Griff hat wie ein Kleinkind in der Trotzphase. Ich kann aber auch nicht fortwährend so tun, als wäre alles in Ordnung, als wäre ich super motiviert, würde bersten vor Vorfreude auf den Start meines neuen Projekts und mich über jeden einzelnen Klick unreflektiert freuen. Das ist verlogen und verschließt die Augen vor der Realität. Toxische Positivität wird zu Recht kritisiert, aber Schwäche zu zeigen ist ebenso unerwünscht.

Ich werde in diesem neuen Fandom bei null anfangen. An vielen Tagen ist der Gedanke, dass meine Geschichte dort untergeht, dass sie auf Ablehnung stößt, dass all meine in dieses Projekt geflossene Recherche umsonst war, dass auf meinem in 270000 Wörter gegossenem Herzen herumgetrampelt wird, lähmend. Dann will ich sie gar nicht veröffentlichen. Vielleicht ist es ohnehin besser, es nicht zu tun. Und diese Geschichte ist nur der erste Teil einer längeren Reihe.

Wenn es schiefgeht, wird es mir dann gelingen, das was ich über alles liebe alleine weiterzupraktizieren? Ich habe so viele Ideen, die ich verwirklichen will. Mein Herz ist noch lange nicht still. Diese Charaktere bedeuten mir so viel aus Gründen, die ich nur in Ansätzen verstehe. Meine Reise mit ihnen steht gerade erst am Anfang.

Schreiben bedeutet, das eigene Herz in Worte zu gießen. Die Worte dieses neuen Projekts kommen von einem Ort so tief in mir, dass ich bis zu diesem Projekt nicht einmal wusste, dass er existiert. Etwas so Intimes mit der Welt zu teilen ist eine Hürde für sich, die zu der Barriere aus Ängsten und fehlendem Selbstwertgefühl hinzukommen. Es zu teilen und nicht zu erfahren wie es ankommt ist wie in ein schwarzes Loch hineinzuschreiben. Es verunsichert so sehr, dass es schmerzt. Zugleich erweckt der Prozess des Schreibens an sich jedoch den Wunsch, das Resultat der Welt zu präsentieren – eine Zwickmühle, aus der ich seit Jahren einen Ausweg suche. Ich glaube, es gibt keinen.

Je mehr ich an meinem neuen Projekt arbeite, desto mehr fällt mir auf, wie sehr mein neuer Protagonist und ich einander ähneln. Wir stellen uns dieselben Fragen ob der Kunst, die wir erschaffen. Wir können diese Kunst nur aus den Tiefen unseres Herzens zum Leben erwecken. Wir sind unsicher, wir haben Versagensängste, wir sind nicht genug. Wir schmeißen hin, wenn der ersehnte Erfolg ausbleibt, weil uns der Mut fehlt, weil wir nicht mehr können, weil es uns zu sehr deprimiert, weil es uns in eine Sinnkrise stürzt. Wir sind das ständige Gefühl nicht genug zu sein leid. Wir wollen kämpfen, aber unsere Ängste und Unsicherheiten stehen uns im Weg. Wir müssen uns immer wieder Mut zureden, auf dass uns dieser wieder abhandenkommt, wenn andere uns verunsichern, weil sie besser, talentierter, beliebter sind. Wir fragen uns, ob wir einen Weg finden können, die Liebe für unsere Kunst zurückzufinden, wenn wir sie nur noch für uns alleine praktizieren. Mein neuer Protagonist dachte lange Zeit, er würde alleine kämpfen.

Ich kämpfe allein.

Ich weiß nicht, wie lange ich dafür noch die Kraft aufbringen kann.


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